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Großer Stillstand


Kameragespräche über Vacanos frühe Filme

14.03.2010 (jnl)
Zwei Filme aus der Zeit des Berufseinstiegs von Jost Vacano standen im Zentrum der ersten Runde der Marburger Kameragespräche am Samstag (13. März) im Filmkunst-Theater am Steinweg. Nach der Vorführung der Werke bildeten Prof. Karl Prümm, der Medienwissenschaftler Dr. Peter Riedel, Filmregisseur Peter Schamoni und der Träger des 10. Marburger Kamerapreises die erste Podiumsrunde.
Das Erstlingswerk "Moskau 1957" war ein dokumentarischer Kurzfilm über die Welt-damaligen Jugendfestspiele in der sowjetrussischen Hauptstadt. Er wurde bei den Kameragesprächen erst das dritte Mal öffentlich vorgeführt, so ironisch-kritisch war sein Impetus. Dementsprechend umstritten war er zur Zeit seiner Aktualität.
Erzählenswert waren unbedingt die Umstände seiner spontanen Entstehung und des Vorbeischmuggelns an den Zensurbeamten der Sowjets und der damaligen DDR. Mit einer ausgeliehenen Handkamera und wenigen Rollen Filmmaterial entstand dennoch ein aus heutiger Sicht überaus sehenswertes, witziges Zeitdokument mit satirischer Konnotation.
Von einem ganz anderen Kaliber war der von Schamoni und Vacano gemeinsam realisierte erste Spielfilm "Schonzeit für Füchse" aus dem Jahr 1966. Prof. Karl Prümm brillierte mit einer feinkörnigen, gut ausgeleuchteten und sprachlich überaus farbigen Analyse des Filmwerks und seiner Einbettungen in die Zeitgeschichte. Sowohl seine Sprachmächtigkeit, der Detail-Reichtum seines Vortrags als auch die psychologischen Motiv-Analysen verblüfften nicht zuletzt die beiden Urheber Vacano und Schamoni auf dem Podium.
Im Podiumsgespräch prallten - wie schon in früheren Jahren - die Sicht der Film-Praktiker und Zeitzeugen auf die der Film-Theoretiker. Das ist eine zugleich thematisch produktive wie auch für das Publikum überaus unterhaltsame Konstellation. Es gab viel zu lachen, wenn die Praktiker sich gegen Fehldeutungen der Wissenschaftler zu wehren genötigt sahen.
Prümms Deutung der von ihm als ästhetisch bedeutend eingeschätzten "Überstrahlungs"-Lichtsetzungen im "Füchse"- Spielfilm wurde von Vacano als weitgehend "Bauchgefühl"-gesteuert aufgedeckt. Statt von ästhetischer Theorielastigkeit oder von Jean-Luc Godard bekannte sich Regisseur Schamoni als vom italienischen Neorealismus Antonionis und Viscontis beeinflusst.
Vacano betonte, dass ihr ästhetisches Hauptanliegen darin bestanden habe, die atmosphärischen Überinszenierungen des "UFA-Stils" zu meiden und durch einen nüchterneren, dokumentarischen Stilwillen zu ersetzen. "Opas Kino ist tot!", lautete das Motto des Oberhausener Manifests für den Neuen deutschen Film der 60er-Jahre.
"Formvergessenheit" und Negativität wurde dem auf der Berlinale 1966 erstaufgeführten und vielbeachteten Film von Kritikern damals vorgeworfen. Das erstere geschah jedenfalls zu Unrecht. Darüber war sich die Podiumsrunde einig. Beim zweiten blieb es etwas unklar.
Denn dass die beiden Freunde im Zentrum des "Füchse"-Films einen bitterbösen Blick auf die Verlogenheit und Fixiertheiten der Adenauer-Ära pflegen, das ist unbestreitbar. Dass diese beiden Angehörigen der "skeptischen Generation" der Nachkriegszeit sich nicht freimachen können von ihren in Nazi-Geschichten verstrickten Eltern, liegt auf der Hand.
Die Unfähigkeit der damaligen jungen Generation, "reinen Tisch" zu machen und kreativ Eigenes zu verwirklichen, fand sich in diesem Film gespiegelt und traf deswegen einen Nerv der Zeit. Das galt auch schon für das zugrundeliegende Buch von Günther Seuren "Das Gatter" von 1964.
Bis in die von Täuschungen und Lieblosigkeit gekennzeichneten Paar-Beziehungen der Protagonisten reichen die Verwerfungen. Es sind eher faule Kompromisse als gelebte Liebe, was da als Lebenspraxis vorgeführt wird.
Prümm, zu dessen bleibenden Erlebnissen gerade dieser Film gehört, wie er bekannte, analysierte hart und schonungslos den Film als sezierende Sondierung der deutschen 60er Jahre. Er lobte die grandiosen Jagdbilder und die "Fülle tableauhafter Einstellungen".
Die Filmemacher erläuterten, dass sie das Gezeigte überwiegend vorgefunden hätten. Nur wenig wurde bewusst hinzuinszeniert.
Die Jagd sei zugleich Männlichkeits-Pose und Ausleben der Obsession des Tötens, die aus dem Weltkriegs-Erlebnis und der Herrenmensch-Mentalität der Nazi-Zeit stammt. Diese Haltung habe die Adenauer-Ära grundiert.
Die für Vacanos Kamera-Arbeit typische Dynamik ist im Film fast durchgängig zu bewundern. Er selber ist mit der Handkamera beständig "in schleichender, umkreisender Bewegung, unauffällig beobachtend". Die Kamera wird nicht als subjektiver Blick der Akteure eingesetzt, sondern als distanzierte, "unbestechliche Beobachter-Instanz".
Seurens Drehbuch wurde überwiegend an Original-Schauplätzen umgesetzt. Sogar des Autors Arbeitszimmer wurde in den Film eingebracht.
Die Ästhetik verfolgte laut Riedel das Ziel, "das Ungesehene im scheinbar Bekannten zu entdecken" sowie "die Wiederherstellung der Fremdheit". "Nein", sagten die beiden Filmemacher selbst, ihr Werk sei überwiegend "ohne theoretischen Überbau" entstanden, wohl aber mit einem ausgeprägten Gefühl für Stimmigkeit und unprätentiösen Stil.
Eine sehr lebhafte Diskussion entließ aus Zeitnot ohne Publikumsfrage die Tagungsteilnehmer in den Abend der Preisverleihung in der Alten Aula. Im Kino gab es an diesem Samstagabend auch noch eine reguläre Vorstellung außerhalb der Tagung. Der Auftakt der Kameragespräche 2010 hatte wiederum ein spannendes Kapitel Kino-Geschichte lebendig werden lassen.
Jürgen Neitzel
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