04.03.2010 (mal)
„Dao ist eine Antwort, die eine unbeantwortete Frage ist!“ und "Nicht eingreifen und doch gibt es nichts, das nicht vollzogen würde!“, sind einige der über 81 Lehrsätze der daoistischen Religion. Vom Nicht-tun und einem sinnvollen Leben nach chinesisch-daoistischer Vorstellung handelte ein Vortrag am Mittwoch (3. März). Durchgeführt wurde die Veranstaltung im Fachbereich Religionswissenschaft der
Philipps-Universität an der Landgraf-Philipp-Straße.
Sie ist eingebettet in die Programmreihe "Religion am Mittwoch“. Die Veranstaltungen finden jeden ersten Mittwoch im Monat statt.
Sie setzen sich mit der religiösen Gegenwartskultur auseinander. In Vorträgen, Reiseberichten, Filmvorführungen oder Diskussionsrunden erwartet ein Thema aus der Welt der Religionen jeden Monat ein interessiertesPublikum. Der Schwerpunkt liegt dabei auf aktuellen Fragestellungen. Anschließend haben die Gäste Gelegenheit, das Gehörte und Gesehene mit anderen Anwesenden bei einer Diskussionsrunde zu vertiefen.
Bei der Veranstaltung wiesen die Verantwortlichen immer wieder auf den Unterschied zwischen Religionswissenschaft und Theologie hin. Während Theologen sich einer bestimmten Religion verpflichtet fühlen und sie auslegen, betrachtet die Religionswissenschaft unterschiedliche Glaubenssysteme mit dem Interesse des neutralen Forschers.
Diese Methodik hat sich auch der Marburger Kulturwissenschaftler Dr. Rainald Simon zu Eigen gemacht. Seine Neuübersetzung des Daodejing ist aus mehrjähriger Beschäftigung mit dem Text hervorgegangen. Auf der Veranstaltung stellte er seine kommentierte Übersetzung der über 2.000 Jahre alten Grundlagentexte der daoistischen Religion vor.
Der Daoismus ist eine chinesische Religion mit über 100 Millionen Anhängern. Zusammen mit dem Konfuzianismus und Buddhismus gilt diese Weltanschauung als maßgebliche kulturprägende Kraft im ostasiatischen Raum. Das Daodejing ist eine Sammlung von Spruchkapiteln, die dem legendären Weisen Lao-Tse zugeschrieben wird.
Simon jedoch stellte die Existenz des Religionsstifters in Frage. Seiner Ansicht nach seien die Texte über Generationen oral tradiert, redigiert und im Nachhinein von einigen Dorfältesten kanonisiert worden.
Auch den Vergleich mit einer klassischen Philosophie lehnte Simon ab. Der frühe Daoismus sei zwar um 375 vor Christus als philosophische Geisteshaltung entstanden, wurde aber durch seinen rasanten Wandel in eine Religion umtransformiert.
Die fundamentalen Gedankengänge beruhten hauptsächlich auf abstrakten Mythen. Eine Philosophie, die ihre Begriffe letztlich nicht definieren könne, sei somit undenkbar.
Der Urgrund der Schöpfung sei begrifflich nicht fassbar. Eine Antwort, warum der Mensch existiere, werde nicht rational beantwortet.
Der Begriff „Dao“ bezeichne eine allumfassende und lebendige - jedoch auch undefinierbare - Kraft, die das Universum im Gleichgewicht halte.
Allerdings sei sie nicht mit einem Gott gleichzusetzen, wie es christliche Theologen seit dem 19. Jahrhundert immer wieder getan hätten. "Dao“ sei allen Göttern vorgesetzt und verbinde alle kosmischen Mächte miteinander. Auch sei dieses Prinzip absolut formlos und existiere länger als die Schöpfung.
Ebenfalls charakteristisch sei ein Unsterblichkeitsglaube. Das Daodejing lasse darauf schließen, dass es keinen konkreten Tod gebe. Das absolute Ende jeder körperlichen Existenz sei nach daoistischer Tradierung völlig unmöglich.
Am Ende jeder Existenz erfolge die Transformation in einen anderen Bewusstseinszustand. Dieser Zustand betreffe sowohl den Körper, als auch den Geist. Eine Heilserwartung inklusive dem Anrecht auf einen Platz im Paradies wie im Christentum sei also auszuschließen.
Im Daoismus seien pazifistische Strukturen zu erkennen. Gewaltträchtige Herrschaftsformen würden abgelehnt. Viel mehr verfolge das Glaubensprinzip eine Nichteinmischung in autonome Prozesse des alltäglichen Lebens. Konflikte oder Probleme lösten sich von selbst.
Nur zielgerichtetes Handeln führe zum Bösen und könne das kosmische Gleichgewicht bedrohen. Dementsprechend müsse jeder Daoist ein großes Maß an Vertrauen in die friedvolle Gesinnung des Menschen haben.
"Dao ist ein kosmisches Lagerhaus für Materien und Energien, die später wieder verwendet werden, und zwar zur Herstellung neuer Dinge“, bemerkte Simon zum Schluss der Veranstaltung.
Martin Ludwig
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