12.02.2010 (chr)
Gotthold Ephraim Lessings Bühnenstück "Nathan, der Weise" hat schon über 200 Jahre auf dem Buckel. Trotzdem ist sein Thema rund um den Wahrheits-Streit der drei großen Weltreligionen heute aktueller denn je.
Das beweist die Neubearbeitung "Nathans Kinder" von Ulrich Hub. Mit entschlackter Handlung und modernisierter Sprache feierte das alte Stück als mobile Aufführung des
Hessischen Landestheaters (HLTh) am Donnerstag (11. Februar) Premiere in der
Elisabethschule.
Dazu hatte Regisseurin Uta Eisold die Aula der Schule in eine kreisförmige Bühne verwandelt. Wie in Lessings Original, ist das Jerusalem zur Zeit der Kreuzzüge der Ort der Handlung.
Über die Stadt herrscht der muslimische Sultan, der alle Kreuzritter enthaupten lässt. Nathan – ein erfolgreicher jüdischer Geschäftsmann – kommt von einer Reise zurück. Dabei muss er erfahren, dass in seiner Abwesenheit sein Haus fast niedergebrannt ist.
Zum Glück hat ein Unbekannter seine Tochter Recha rechtzeitig aus den Flammen gerettet. Wenig begeistert ist Nathan allerdings davon, dass ausgerechnet der Kreuzritter Kurt Rechas Retter ist.
Der Christ will von der Dankbarkeit des Juden auch gar nichts wissen. "Es ist die Pflicht von Kreuzrittern, ihr Leben für andere einzusetzen, selbst wenn es sich dabei nur um das Leben eines Juden handelt", konstatiert Kurt wenig mitfühlend.
Eindrücklich zeigt dieser erste Wortwechsel, wie verhärtet in Jerusalem die Fronten zwischen den Religionen sind. Zwischen diese Fronten geraten aber immer mehr Kurt und Recha.
Die beiden finden durchaus Gefallen aneinander. Für einige Lacher gut war dabei das verschämt-verliebte Spiel von Anne Margarete Greis und Stefan Piskorz als junges Paar.
Sichtbar nur langsam gewöhnen sich beide daran, ihre Gefühle über ihre Erziehung zu stellen. "Niemand hat sich seine Religion ausgesucht", lautet schließlich die klare Botschaft für die Menschlichkeit.
Leider ist Recha aber in erster Linie ihrem Vater verpflichtet. Nathan selbst ist ebenfalls nicht gegen Vorurteile gegenüber "den Christen" gefeit. Hier überzeugte Jürgen Helmut Keuchel als sanfter und dennoch selbstbewusster Mann, der immer zwischen Vaterliebe und Misstrauen gegenüber anderen Menschen schwankt.
Kurt wiederum untersteht dem Bischof, der in seinen dogmatischen Parolen heutigen Hasspredigern in nichts nachsteht. "Es ist die heilige Pflicht von Kreuzrittern, nicht nachzudenken, sondern mit dem Schwert dreinzuschlagen." Bei solchen Sprüchen ging ein ungläubiges Raunen durch die gut gefüllte Aula.
Als der Bischof erfährt, dass Recha gar nicht Nathans Tochter ist, will er den Juden sogar „verbrennen“. Genauso unnachgiebig blitzten die stahlblauen Augen von Darsteller Bernd Kruse hinter seiner runden Brille hervor.
Der Sultan schließlich will daraus Kapital schlagen, indem er Nathan und den Bischof gegeneinander ausspielt. Torsten Stoll spielte die Rolle des fintenreichen Strategen überzeugend, wenn er auch optisch mit Krawatte und glattrasiertem Gesicht leider nur entfernt an einen Sultan des 12. Jahrhunderts erinnerte.
Recha und Kurt versuchen, die drei alten Herren zur Vernunft zu bewegen. Womöglich haben alle am Ende mehr miteinander gemeinsam, als sie glauben?
Diese Zusammenhänge konnte Hubs gekürzte Version jedoch nur andeuten. Dadurch kam das Ende aber leider etwas plakativ und arg plötzlich daher.
Allerdings gelang es der dichten Inszenierung, immer wieder die wichtigen Fragen nach dem Glauben, Gott und dem Sinn des Ganzen aufzuwerfen. Indem die Geschichte auf die wesentlichen Hauptfiguren reduziert wurde, hatte jede von ihnen genug Raum, ihren Stand in der knapp einstündigen Aufführung zu entfalten.
Die Chance des sehr kleinen Bühnenraums hat das Ensemble dabei ebenfalls genutzt. Alle Darsteller rannten nicht nur auf die Bühne, sondern auch zwischen und rund um das Publikum. Das verlieh der Aufführung zusätzlich Dynamik.
"Nathans Kinder" ist eine sehr gut gespielte Parabel auf den Glaubenskrieg, die durchaus zum Nachdenken über die aktuellen Konflikte der Religionen anregt. Wenn diese Auseinandersetzungen doch auch nur so wohldiskutiert abliefen wie zwischen Nathan, dem Bischof und dem Sultan!
Christian Haas
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