Logo: marburgnewsMobile Marburgnews

Zum Menü

Kleine Ermutigung


Bundesverfassungsgericht kippte Regelsätze von Hartz IV

09.02.2010 (ms)
Als ermutigendes Zeichen für Millionen Menschen und als grundsätzliches Votum für den Sozialstaat hat die Humanistische Union (HU) die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu den Regelsätzen von Hartz IV gewürdigt. Unter Vorsitz des Gerichtspräsidenten Hans-Jürgen Papier hatte der Erste Senat die Berechnung der bisherigen Regelsätze für Kinder und Erwachsene als verfassungswidrig eingestuft. Bis zum Jahresende fordert das höchste deutsche Gericht nun eine verfassungskonforme Regelung ein.
In diesem Punkt bedauert Franz-Josef Hanke die Karlsruher Entscheidung jedoch als "falschen Pragmatismus auf Kosten der Bedürftigen". Wenn das Gericht die Regelsätze für Kinder als offensichtlich zu niedrig erkannt habe, hätte es seiner Ansicht nach auch auf sofortige Anhebung dieser Zuweisungen bestehen müssen.
Im Grunde aber sieht sich der Zweite Vorsitzende des HU-Ortsverbands Marburg durch das Gericht in seiner Kritik an Hartz IV bestätigt: "Diese Gesetzgebung hat die Verelendung und Ausgrenzung von Millionen Menschen vorangetrieben, ohne ihnen genügend Hilfestellungen zur Verbesserung ihrer Situation zu bieten."
Nur zehn Tage vor der Urteilsverkündung hatte die Humanistische Union in Marburg eine bundesweite Tagung zur gerechten Ausgestaltung der Sozialsysteme durchgeführt. Unter dem Titel "Wenn die Würde gewürdigt würde – Kurskorrektur hin zu Sozialen Grundrechten" hatten am Samstag (30. Januar) fünf Fachreferenten vor knapp 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmern über den aktuellen Stand der Sozialen Grundrechte in Deutschland referiert.
Die Karlsruher Entscheidung zu den Regelsätzen bestätigt die Kernaussagen der Tagung. Bereits dort hatte der Marburger Rechtsanwalt Dr. Peter Hauck-Scholz darauf hingewiesen, dass sogenannte "zahlenförmige Rechtsnormen" wie die Hartz-IV-Regelsätze auf transparente und nachvollziehbare Weise zustande kommen und auch einer inhaltlichen Überprüfung standhalten müssen.
Die Sicherung des Soziokulturellen Existenzminimums, das ein menschenwürdiges Leben inmitten der Gemeinschaft ermöglicht, darf nach Ansicht des Marburger Anwalts auch nicht mit angeblichen Sparzwängen abgelehnt oder eingeschränkt werden. Diese Rechtsposition hat auch das Bundesverfassungsgericht mit seinem Spruch untermauert.
Mit Genugtuung nimmt Hanke zudem das Votum der Verfassungsrichter zur Kenntnis, das zusätzliche Leistungen für regelmäßige besondere Aufwendungen einfordert. "Man kann einfach nicht alle Menschen über einen Kamm scheren", bestätigte der Bürgerrechtler die Auffassung des Gerichts.
Auch wenn die Karlsruher Entscheidung aus seiner Sicht noch viele Fragen offen lässt, sieht Hanke darin dennoch "eine schallende Ohrfeige für all diejenigen, die das Sozialstaatsprinzip auf dem Altar der neoliberalen Sparpolitik opfern wollen". Schließlich hatten die Verfassungsrichter ihren Spruch mit nichts Geringerem begründet als dem Schutz der Menschenwürde nach Artikel 1 des Grundgesetzes.
"Das Urteil ist gut für die Bemühungen um eine Reform von Hartz IV", meinte der Marburger SPD-Vorsitzende Steffen Rink. "Die Hessen-SPD hat bereits Vorschläge für eine neue Arbeitsmarkt-Politik und soziale Sicherheit vorgelegt. Mit dem heutigen Urteil muss zusätzlich eine Diskussion geführt werden, was wir unter sozialen Mindeststandards verstehen und wie wir die Teilhabe aller am gesellschaftlichen Leben ermöglichen wollen."
Dieser Punkt lasse sich im Übrigen auch auf die Diskussion um angemessene Löhne auf dem ersten Arbeitsmarkt beziehen. Eine Aussage des Verfassungsgerichts sei, dass die bisherige Zusammensetzung der Regelsätze soziokulturelle Bedürfnisse und Ansprüche nur ungenügend berücksichtigt.

Die Kernbotschaft des Urteils sei: "Soziale Absicherung ist mehr als Essen und Trinken. Soziale Sicherheit umfasst genauso die Beteiligung am gesellschaftlichen Leben. Wer arm ist, darf nicht ausgeschlossen werden."
Nach Meinung des Marburger SPD-Vorsitzenden muss der gesamte Bereich der Grundsicherung kritisch durchdacht werden. "Ich sage nicht, dass bei Hartz IV alles schlecht ist. Die Reform hat auch positive Seiten gehabt. Doch es gibt einige Punkte, an die muss man ran: Der drohende soziale Abstieg beim Übergang von regulärem Arbeitslosengeld zu Hartz IV, den insbesondere ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer fürchten, muss besser abgefedert werden."
Ein-Euro-Jobs müssen nach Rinks Auffassung auf solche Maßnahmen beschränkt sein, in denen schwer vermittelbaren Arbeitslosen überhaupt eine Brücke zu regelmäßiger Beschäftigung gebaut wird. Die hohe Zahl von Widersprüchen zu Hartz-IV-Bescheiden von rund einer Million im Jahr verweist nach seiner Einschätzung auf Defizite genauso wie der Umstand, dass von den angegriffenen Leistungsbescheiden im Durchschnitt jeder Dritte korrigiert werden muss.
"Die Regelsätze müssen auf den Boden der Lebenswirklichkeit gestellt werden", forderte Rink. "Hartz IV darf nicht ausgrenzen, insbesondere nicht Kinder und Jugendliche!"
Rink verweist darauf, dass die Marburger SPD bereits vor einem Jahr eine Erhöhung der Regelsätze für Kinder und Jugendliche gefordert hat, um Armut zu verhindern. "Soziale Leistungen müssen den Menschen in den Mittelpunkt stellen, nicht den Haushalt oder abstrakte gesetzliche Regelungen. Das gilt für die Berechnung der Regelsätze und für zusätzliche Hilfen genauso wie für die Ermessens-Spielräume, die den Leistungsträgern gegeben sind und die im Sinne der Bedürftigen ausgelegt werden müssen."
Matthias Schulz/pm
Text 3424 groß anzeigen

www.marburgnews.de

© 2017 by fjh-Journalistenbüro, D-35037 Marburg