Logo: marburgnewsMobile Marburgnews

Zum Menü

Gewissen ist Luxus


Camus brachte revolutionäre Gerechtigkeit zur Sprache

07.02.2010 (fjh)
"Gewissen ist ein Luxus", sagt der Revolutionär Stepan Fjodorow. Seine Auseinandersetzung mit Grenzen und Gründen revolutionärer Gewalt steht im Mittelpunkt des Bühnenstücks "Die Gerechten" von Albert Camus. In einer eindringlichen Inszenierung des Intendanten Ekkehard Dennewitz feierte das Drama am Samstag (6. Februar) Premiere im Theater am Schwanhof (TaSch 2).
Hauptdarsteller waren dabei vier Jugendliche. Zum Erstaunen vieler Premierengäste haben sie die Rollen von vier russischen Revolutionären aber so überzeugend verkörpert, dass auch professionelle Schauspieler es kaum besser hätten machen können.
Der Stoff des französischen Literatur-Nobelpreisträgers greift eine wahre Begebenheit aus dem vor-revolutionären Russland des Jahres 1908 auf. Mitglieder der kommunistischen Partei planen ein Attentat auf einen Großfürsten, den sie für das Elend ihrer Landsleute verantwortlich machen.
Iwan Kaljajew soll die Bombe in die Kutsche des verhassten Großfürsten werfen. Dora Dulebow hat das todbringende Rohr hergestellt. Sie mag den jungen Revolutionär, den die Gruppe wegen seines originellen Lebensstils als "Poeten" bezeichnet.
Dem aus dem Exil zurückgekehrten Stepan ist Iwan hingegen suspekt. Er misstraut seinem revolutionären Eifer, den er für die Laune eines gelangweilten Bourgeois hält.
Als die Kutsche mit dem Großfürsten vorüberfährt, zögert Iwan. Er wirft die Bombe nicht, weil in der Kutsche neben dem verhassten Großfürsten auch dessen Gemahlin und seine kleinen Neffen sitzen.
Die Revolutionäre dürften keine Kinder töten, fordert Kaljajew. Das Leben dieser Kinder müsse hinter die revolutionären Interessen zurücktreten, entgegnet Stepan. Das Leben Tausender verelendeter Kinder sei wichtiger als das dieser dressierten Puppen.
Ein Streit entzündet sich zwischen den beiden jungen Männern. Iwan begründet seinen Einsatz für die revolutionären Ziele mit dem Wunsch nach einem besseren Leben. Stepan hingegen begründet es aus seinem Hass gegen das bestehende unmenschliche System.
Er wäre sogar bereit, die Revolution gegen eine Mehrheit in der Bevölkerung durchzusetzen, erklärt der Revolutionär. Das Ziel heilige jedes Mittel.
Iwan hingegen sieht das gute Leben gerade auch der unterdrückten Menschen als das eigentliche Ziel der Revolution an. Erliebt das Leben und engagiert sich gerade deswegen in der Kommunistischen Partei.
Die Rolle des Iwan Kaljajew hat Johannes Grabowski überzeugend ausgefüllt. Neben dem sympathischen Schüler mit den langen Haaren und dem weichen Gesichtsausdruck brillierte auch die Abiturientin Sophia Heyrichs als Dora Dulebow. Gekonnt wechselte sie zwischen zur Schau gestellter Härte und dem Wunsch nach menschlicher Nähe und romantischer Liebe.
Den hasserfüllten Stepan Fjodorow brachte der Student Max Radestock ebenfalls gekonnt auf die Bühne. Manchmal wirkte sein Spiel aber schon so professionell, dass es ein winziges Stückchen hinter die überzeugende Darstellung der beiden anderen zurückfiel.
Als Boris Annenkow bewies auch der Abiturient Philipp Reinhardt schauspielerisches Talent. Seine Rolle war indes wohl die undankbarste.
Alle vier Darsteller haben ihre Rollen so überzeugend umgesetzt, dass der begeisterte Applaus am Ende des Stücks absolut berechtigt war. Auch wenn die erregte Deklamation in einigen Szenen doch besser gewirkt hätte, wenn sie ein wenig leiser vorgetragen worden wäre, war die Inszenierung geradezu grandios.
Mit geringen Mitteln schuf der Intendant eine Atmosphäre, die sich voll auf das Geschehen und die Dialoge konzentrierte. Sie agierten rund um einen Tisch mit vier Stühlen, der sich mitten zwischen den Zuschauerrängen befand. Dadurch war das Publikum immer hautnah am Geschehen.
Einen besonderen Leckerbissen hatte Dennewitz nach dem zweiten Akt eingestreut. In wechselndem Vortrag verlasen die vier Darsteller eine Rede zur politischen Auseinandersetzung mit der "Stadtguerilla-" der Roten Armee-Fraktion (RAF) und ihren Gewalttaten.
Auch wenn der Redner jene "linken" Lehrer oder Professoren anprangerte, die sich sofort auf ihre Pfründe zurückzögen, wenn es Ernst werde, geißelte er auch die RAF, die sich von den Menschen und ihrer Wirklichkeit entfernt habe. Am Ende nannten die Darsteller dann die Quelle: "Rede des Genossen Josef Fischer, Gruppe Revolutionärer Kampf, Frankfurt 1976".
Mit dem zweiten Attentats-Versuch auf den Großfürsten endete die Inszenierung. Kenner des Originals von Camus rätselten anschließend noch darüber, ob da nicht Wichtiges fehle. Für alle anderen war es aber ohne Einschränkungen ein gelungener Abend, der auf eindrucksvolle Weise zu Nachdenklichkeit, Engagement und Mitmenschlichkeit aufrief.
Franz-Josef Hanke
Text 3405 groß anzeigen

www.marburgnews.de

© 2017 by fjh-Journalistenbüro, D-35037 Marburg