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Outgesourct und abgedrängt


Bürgerschaftliches Engagement statt staatlicher Pflichtleistungen

06.02.2010 (fjh)
"Jeden Tag eine gute Tat", lautet die Lebensmaxime der Pfadfinder. Einen neuen Weg zu finden, war allem Anschein nach auch das Leitmotiv der Regierenden in Berlin. Ihnen hat das altbewährte Pfadfinder-Motto offenbar dazu verholfen, die elementare Verpflichtung des Staats zur Sicherung des soziokulturellen Existenzminimums seiner Bürger an wohlmeinende Mitmenschen abzuschieben.
"Outsourcing" nennt die Privatwirtschaft ihre verbreitete Methode, Leistungen außerhalb des eigenen Unternehmens möglichst billiger zu beziehen als im eigenen Haus. Mitunter sind die "outgesourcten" Dienstleister aber nur Tarn-Organisationen des "Mutterhauses", die sich den tariflichen Bindungen des jeweiligen Unternehmens entziehen.
Nicht ganz genauso – aber irgendwie doch ähnlich – erbringt die Bundesrepublik Deutschland seit mindestens fünf Jahren ihre Sozialleistungen. Wurden seit Langem schon viele Soziale Dienste von freien Trägern betrieben, so huldigen die Behörden spätestens seit Einführung von Hartz IV dem neuen Dämon "Ehrenamt".
Ohne unbezahlte Freiwillige ginge fast nichts mehr in diesem reichen Land. Kirchen und Vereine erbringen vielfältige Leistungen für die Allgemeinheit mit Hilfe ehrenamtlicher Helfer.
Doch damit noch nicht genug: Mit Inkrafttreten des Sozialgesetzbuchs II (SGB II) zum 1. Januar 2005 hat die Bundesregierung den Regelsatz für Bezieher des mit dieser sogenannten "Hartz-IV-Reform" neu eingeführten Arbeitslosengelds II (ALG II) so "sparsam" kalkuliert, dass er das soziokulturelle Existenzminimum nicht mehr abdeckt. Millionen Menschen müssen in der reichen Bundesrepublik seither in Armut leben.
Eine Folge davon ist das mittlerweile flächendeckende Netz von "Tafeln". Hätte 1990 jemand prognostiziert, dass es kaum 20 Jahre später in jeder deutschen Kleinstadt solch eine Einrichtung zur lebensnotwendigen Versorgung von Menschen mit Nahrung geben würde, hätte ihm das wohl niemand geglaubt.
Weisen viele die Schuld an dieser Entwicklung aber gnadenlos ihren Opfern zu, so können sie die steigende Kinder-Armut nicht ganz so wohlfeil abtun. Kinder können keine kleinen Faulpelze sein, die nicht arbeiten wollen und deswegen auch nicht essen sollen.
"Den Folgen von Armut zu begegnen, ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe", meinen der Landkreis Marburg-Biedenkopf und der Deutsche Kinderschutzbund (DKSB). Deswegen ruft der Landkreis gemeinsam mit dem Kinderschutzbund einen lokalen Aktionsfonds gegen Kinder-Armut ins Leben.
Damit sollen Spender dort einsteigen, wo der Staat spart: Den Mangel sollen die Mitmenschen lindern nach dem alten Ablass-Motto: "Wenn das Geld im Kasten klingt, die Seele in den Himmel springt."
Die ureigenste Aufgabe des Staats wird damit auf diejenigen abgedrängt, die das Elend aus menschlicher Empathie heraus nicht mit ansehen können oder wollen. Der Staat spart damit nicht nur auf Kosten der Kinder und ihrer Eltern, sondern auch auf Kosten der jeweiligen Spender.
Wenn in Berlin einmal wieder von Steuersenkungen geredet wird, sollte man die steigenden Kosten für die Bürgerinnen und Bürger wie auch das steigende Elend von Beziehern sozialer Transferleistungen mit dem Steuernachlass verrechnen. Bei der Tagung "Wenn die Würde gewürdigt würde – Kurskorrektur hin zu Sozialen Grundrechten" hat Dr. Kai Eicker-Wolf vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) vorgerechnet, dass die Steuersenkungen seit 1999 allein im Jahr 2009 zu Mindereinnahmen des Fiskus von mehr als 50 Milliarden Euro geführt haben.
Bei der gleichen Veranstaltung hat der Marburger Rechtsanwalt Dr. Peter Hauck-Scholz klar gestellt, dass die Sicherung des Existenzminimums ein Grundrecht darstellt, das keinerlei Sparzwängen unterliegen darf. Es ist also der Staat, der zur Sicherung eines menschenwürdigen Lebens aller Bürger in der Gemeinschaft verpflichtet ist.
Wenn hier Tafeln oder Hilfsfonds einspringen müssen, dann stellt diese Tatsache der Regierung ein elendes Armutszeugnis aus. Mögen die Motive der – meist ehrenamtlich tätigen – Helfer bei der Erfüllung ihrer derzeit leider dringend notwendigen Aufgabe auch noch so ehrenhaft sein, so wirken sie letztlich wie ein Schwamm für den Dreck, den die Regierenden der Gesellschaft rücksichtslos hinterlassen haben.
Ohne die Hilfe der Freiwilligen wären viele Betroffene schon längst am Ende. Doch am ausgestreckten arm verdorren lassen kann man sie natürlich auch nicht.
So beißen viele die Zähne zusammen und kümmern sich darum, den Dreck wegzuwischen, den andere ihnen überlassen haben. Sie zahlen Steuern und spenden oder engagieren sich zusätzlich noch direkt für bedürftige Mitmenschen.
Doch eine Perversität von Hartz IV würgt diesen hilfsbereiten Menschen sogar noch Einen rein: Nach der Gesetzeslage müssen die Bezieher von Leistungen alle Einkünfte mit ihrem ALG II verrechnen. Größere Spenden könnten dann möglicherweise nicht den Betroffenen zugute kommen, sondern dem gnadenlos geizigen Staat
Franz-Josef Hanke
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