19.01.2010 (fjh)
"Hessen hat kein Energieprogramm", berichtete Prof. Dr. Hans Ackermann. Im Rahmen der Ringvorlesung "Konflikte in Gegenwart und Zukunft" referierte der emeritierte Marburger Physikprofessor am Montag (18. Januar) im Hörsaalgebäude der
Philipps-Universität über "Erneuerbare Energien – Chance ohne Alternative?".
Bei der Nutzung erneuerbarer Energien sei "Hessen hinten", kritisierte Ackermann. Zwei unterschiedliche Studien wiesen dem Bundesland nur Platz 14 von insgesamt 16 Ländern zu.
Hinter Hessen rangiere nur noch Berlin, das als Stadtstaat mit einem Flächenland wie Hessen nicht vergleichbar sei, sowie das Saarland, berichtete der Aktivist im Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland (BUND). Dieses Resultat wertete er als traurige Konsequenz fehlender Anstrengungen zur Bekämpfung der drohenden Klima-Katastrophe.
Vor allem aber drückt sich seiner Einschätzung nach darin auch eine bewusste Bevorzugung der Atomkraft zu Lasten von Solarenergie, Windkraft und Biomasse aus. Vor allem das Aufstellen von Windrädern werde durch die Regionalen Entwicklungspläne der hessischen Regionen stark eingeschränkt, kritisierte Denoch war sich der Physiker sicher, dass die Energiewende kommen wird. Es sei nur die Frage, wann das geschehe und ob die Umstellung planmäßig vorbereitet oder in einem chaotischen Prozess aufgrund von Energiekrisen unvermeidbar werde.
Angesichts der begrenzten Vorräte an Öl, Uran und Kohle prognostizierte Ackermann eine zunehmende Verschärfung von Konflikten. Schon heute sei das Öl Grund für Kriege um Ressourcen wie beispielsweise im Irak.
Ziel der Weltgemeinschaft sei seit der Konferenz von Rio de Janeiro im Jahr 1992 deshalb eine nachhaltige Energiepolitik. Nachhaltig könnten aber nur Systeme sein, die auf erneuerbaren Ressourcen aufbauen.
Die Vorräte an Uran, Kohle, Gas und Erdöl seien jedoch endlich. Deswegen widerspreche eine Nutzung dieser Energieträger dem gemeinsam beschlossenen Ziel der Nachhaltigkeit.
Nach derzeitigem Kenntnisstand betragen die weltweiten Vorräte an Öl gerade einmal 28 Kubikmeter pro Person. Würde man jedem Menschen diesen Quader von vier mal vier Metern Fläche bei einer Höhe von 1,75 Metern in den Keller stellen und ihm sagen, dass das diese Menge für ihn und alle seine Nachkommen ausreichen muss, dann würden die Menschen sicherlich viel sorgfältiger und sparsamer mit dem knappen Gut umgehen.
Derzeit spekulierten die Menschen in Europa, Nordamerika und entwickelten Ländern Asiens jedoch darauf, dass die Bewohner Afrikas, Asiens und Lateinamerikas ihren Anteil daran nicht beanspruchen. Diese Vorstellung sei jedoch auf Dauer nicht haltbar, prophezeite Ackermann.
Seinen Vortrag bebilderte der emeritierte Hochschullehrer mit zahlreichen Grafiken und Statistiken, die seine Argumente untermauerten. Gelegentlich zeigte er den knapp 100 Zuhörern aber auch Fotos zur Illustration seiner Aussagen.
Ein Foto bildete Ureinwohner eines Urwalds in Lateinamerika ab. Sie protestierten vor einer Polizeiwache gegen die gewaltsame Verhaftung ihres Bürgermeisters, der Proteste gegen die Vertreibung mehrerer Dörfer zugunsten der Abholzung des Regenwaldes angeführt hatte.
Mit menschenverachtenden und gewalttätigen Methoden seien die Bewohner dieser Dörfer aus ihrer angestammten Umgebung im Regenwald vertrieben worden, um dort Plantagen zur Gewinnung von Palmöl anzusiedeln, berichtete Ackermann. "Wenn ich solche Bilder sehe und dann höre, der Erlass einer Solar-Satzung sei Ausdruck einer Öko-Diktatur, dann geht mir der Hut hoch", empörte sich der Referent unter dem Beifall zahlreicher Zuhörer.
80 Prozent der derzeitigen Stromgewinnung in Deutschland basierten auf Kohle, fuhr Ackermann fort. Nach und nach müsse dieser klimaschädliche und endliche Energieträger durch Wind- und Wasserkraft, Solarstrom und – allerdings nur zur Abdeckung temporärer Lücken – auch durch Biomasse ersetzt werden.
Anstelle der klassischen Stromerzeugung durch Kohle oder Atomkraft schlug Ackermann das sogenannte "regenerative Verbundkraftwerk" vor, das in Kassel entwickelt worden ist. Hier schalten Ingenieure Windräder, Solarzellen und Wasserkraftwerke mit einem Biomasse-Blockheizkraftwerk zusammen. Anhand der Wetterprognosen und einer ständigen Beobachtung der aktuellen Entwicklung von Sonneneinstrahlung und Wind könne man dieses "virtuelle Kraftwerk" so steuern, das die benötigte Menge Strom garantiert immer erzeugt werden könne.
Die vielfach erhobene Behauptung, erneuerbare Energieträger lieferten keine zuverlässige Versorgung mit Strom, werde mit diesem Modell widerlegt. Man müsse nur Biomasse und Wasserkraft zu Wind und Sonne hinzunehmen, um eine gleichmäßige Versorgung zu garantieren.
Biomasse sei allerdings nicht unproblematisch, wie das Beispiel der Palmöl-Plantagen in Lateinamerika zeige. Sie sollte deswegen nur in sehr beschränktem Maß eingesetzt werden. Schließlich gebe es nur eine begrenzte Fläche, die für den Anbau von Pflanzen zur Energiegewinnung, zur Ernährung, oder als natürliches Reservoir zum Klimaschutz genutzt werden könne.
Ebenso sprach sich Ackermann auch gegen große Staudämme zur Erzeugung von Wasserkraft aus. Wenn ganze Dörfer oder – wie beim Drei-Schluchten-Stausee am chinesischen Jangtse – zahlreiche Fabriken unter den Wassermassen verschwinden, dann vermute er auch problematische Giftstoffe, die als Hinterlassenschaft dieser Produktionsanlagen ins Trinkwasser gelangen.
Sehr wichtig sei deswegen auch ein sparsamer Umgang mit Energie. Würden die Deutschen nur ein Prozent ihres Stromverbrauchs einsparen, anstatt ihn – wie zur Zeit noch – jedes Jahr um 1 Prozent zu steigern, so könnten alle Atomkraftwerke im Jahr 2020 ersatzlos abgeschaltet werden. Die eingesparte Energiemenge entspräche dann nicht nur dem derzeitigen Anteil der Atomkraft am Strom, sondern auch dem gesamten Verbrauch aller Privathaushalte in Deutschland.
Als Spar-Vorschläge nannte Ackermann die generelle Verwendung von Energiesparleuchten, die Ausschaltung aller Geräte, wenn sie nicht gerade gebraucht werden, einen Verzicht oder zumindest eine Verringerung des Stromverbrauchs im Stand-By-Modus sowie effizientere Heizungen, eine dichtere Wärme-Dämmung von Gebäuden und vor allem ein energiebewusstes Verhalten im Verkehr. Rad- oder Bus- und Bahnfahren sowie eine Nutzung sparsamerer Auto und ein Verzicht auf unötige Wege seien hier vordringlich.
"Ein einziger Flug nach Australien und zurück verursacht genauso viel Schaden an der Atmosphäre wie jeder Bundesbürger pro Kopf im ganzen Jahr", erklärte Ackermann. Man solle sich also überlegen, ob eine solche Reise notwendig und ökologisch vertretbar sei.
Franz-Josef Hanke
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