04.12.2009 (fjh)
Geradezu identifizieren mit dem Klavier kann man Frédéric Chopin wegen seiner meisterlichen Kompositionen für dieses Instrument. Geradezu identifizieren mit dem Klavier kann man auch Alexander Urvalov wegen seiner meisterhaften Interpretationen darauf. Mit seinem Auftritt in der Stadthalle bot der
Marburger Konzertverein am Donnerstag (3. Dezember) erneut einen musikalischen Leckerbissen von herausragender Klasse.
Ausschließlich Kompositionen von Chopin standen an diesem Abend auf dem Programm. Dabei brachte der 55-jährige Interpret die kompositorische Vielfalt Chopins ebenso eindrucksvoll zu Gehör wie deren emotionale Tiefe.
Schon nach wenigen Takten hatte der Pianist das Publikum in seinen Bann gezogen. Geradezu dramatisch klang Chopins Polonaise-Fantasie in As-Dur bei Urvalovs Interpretation.
Gekonnt setzte er bei seinem Spiel kurze Pausen, in denen er mit Hilfe des Pedals die jeweiligen Töne nachklingen ließ. Dann wieder beschleunigte Urvalov sein Spiel oder erhöhte die Lautstärke, um dadurch die Dramatik des Opus 61 von Chopin klar herauszuarbeiten.
Als zweites Stück spielte der seit 17 Jahren im osthessischen Alsfeld lebende Russe am Donnerstagabend Chopins "Nocturne in Es–Dur" opus 9 Nummer 2. Hier ließ er die ruhige Melodie in sanfter Klarheit ertönen, um die – auch dieser Komposition innewohnende – Dramatik zwar verhaltener, aber nicht minder akzentuiert herauszuarbeiten.
Als dritte Interpretation präsentierte Urvalov Chopins "Walzer in As–Dur" opus 34 Nummer 1. Beschwingt und zugleich doch bewegend brachte er die Lebhaftigkeit dieses Stücks mit seiner tiefschürfenden Melancholie in Einklang.
Bei den "Fünf Préludes" aus opus 28 kam die Unterschiedlichkeit der Kompositionen Chopins besonders deutlich zum Ausdruck. Auch hier hauchte Urvalov jeder einzelnen der kurzen Miniaturen durch sein gefühlvolles Spiel individuelles Leben ein.
Vor allem das letzte dieser fünf kurzen Stücke begeisterte das Publikum so sehr, dass die ersten "Bravo"-Rufe des Abends zu hören waren. In der dichten Aufeinanderfolge der fünf unterschiedlichen Miniaturen erwies sich die gefühlvolle Virtuosität des Pianisten als besonders differenzierungsfähig.
Mit dem anschließenden "Scherzo" in cis–moll opus 23 zeigte Urvalov dann eine weitere Facette seines erstaunlichen Könnens. Mit tosendem Applaus entließ das Publikum ihn danach in die Pause.
Vier Balladen standen im zweiten Teil des Konzerts auf dem Programm. Jede von ihnen ist wieder ganz anders als die Vorherige. Auch diese Vielfalt arbeitete Urvalov wieder sehr feinfühlig heraus.
Die gefühlvolle Tiefe der Kompositionen Chopins fand mit ihm einen ebenso gefühlvollen Interpreten. Sein akzentuiertes Spiel verlieh ihrer jeweiligen Stimmung stets den adäquaten Ausdruck.
Donnernder Applaus, begeisterte "Bravo"-Rufe und beinahe bebendes Füßetrampeln belohnte den großartigen Künstler am Ende für seine grandiose Leistung. Drei Zugaben wiederum belohnten das Publikum dann noch einmal sehr stimmungsvoll für seinen ausdrucksstarken Dank.
Seit Langem ist es guter Stil des Marburger Konzertvereins, seinen Interpreten nach einer Aufführung mit einem Blumenstrauß zu danken. Bevor aber die Damen im Auftrag des Veranstalters ihren Strauß überreichen konnten, stand schon eine Frau aus dem Publikum auf und drückte Urvalov einen Strauß Blumen in die Hand.
Mit Chopins "Minutenwalzer" als dritte Zugabe zeigte Urvalov schließlich erneut seine atemberaubende Schnelligkeit und zugleich die Ausdrucksstärke seines Spiels. Wenn nicht ausgeschlossen wäre, dass er mehr als zehn Finger hat, hätte man bei ihm vermutet, es müssten mindestens 20 Finger über die Tasten sausen.
Mit offenem Mund bestaunten vor allem diejenigen im Saal seine Bewegungen, die selber Klavier spielen. Aber auch alle anderen spürten sehr deutlich, dass hier ein begnadeter Interpret Virtuosität, Technik und Einfühlungsvermögen aufs Meisterlichste miteinander verband.
Franz-Josef Hanke
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