27.11.2009 (chr)
Sein Buch "Lehrerzimmer" steht inzwischen sogar schon auf dem Lehrplan. Nun las der Autor Markus Orths am Donnerstag (26. November) in der Waggonhalle aus der Fortsetzung "Hirngespinste".
Hauptperson und Erzähler des Buches ist - wie im Vorgänger - der Lehrer Martin Kranich. In "Hirngespinste" verschlägt es ihn zunächst vom württembergischen Göppingen an eine Schule nach Frankfurt.
An dieser Stelle stieg Orths in seinen Roman ein. An der Frankfurter Schule soll es geordneter und weniger chaotisch zugehen.
Dafür sorge schon das neue "Schulschlüssel-Sondersystem", erklärt Lehrer Strubel dem neuen Kollegen. Bei Kranich sorgt dieses System allerdings nur dafür, dass er versehentlich in der Schule eingeschlossen wird.
Schon in diesem kurzen Prolog zeigte sich Orths als genauer Beobachter menschlicher Eigenheiten. Kollege Strubel spricht als Deutschlehrer beispielsweise die Satzzeichen direkt mit.
Nach diesem Missgeschick schmeißt Kranich den Lehrerberuf endgültig hin. Orths las als zweite Stelle aus dem ersten Kapitel von Kranichs anschließendem Versuch, in sich "hineinzuhorchen", "was ich denn eigentlich will".
Hier parodiert Orths nicht nur die Unentschlossenheit der Midlife-Crisis, sondern auch weltfremde philosophische Allgemeinplätze. Kranich muss nämlich leider feststellen, dass er in sich gar nichts hört.
Spontan beschließt er kurz darauf, Schriftsteller zu werden. "Schreiben kann schließlich jeder, seit der Grundschule". Von da an entfaltet "Hirngespinste" sein eigentliches Potential.
Ob Kranich nach den ersten Buch-Erfolgen schwach besuchte Lesungen halten muss und sich fragt, wie er die vielen geschenkten Weinflaschen transportieren soll, oder ob er aufgrund fehlender Ideen für ein neues Buch einen Hirnforscher konsultiert: Die von Orths gelesenen Szenen sind eine pointierte Farce auf den Literaturbetrieb und das Schriftsteller-Leben an sich.
Bezeichnend dabei ist, dass Kranich am Ende nur noch Blödsinn schreibt und wahre Erfüllung darin findet, seiner kleinen Nichte gruselige Gute-Nacht-Geschichten zu erzählen. Fast konnte man meinen, "Hirngespinste" sei aus Orths’ Verzweiflung an seinem eigenen Beruf entstanden.
Selbstverständlich speise er seine Szenen aus eigenen Erfahrungen, gab Orths - selbst ehemaliger Lehrer - im Anschluss an die Lesung zu. Wohl auch deshalb wirkten die Begebenheiten bei aller Überzeichnung sehr authentisch.
Als Orths etwa vorlas, wie Kranich mit einem Frosch im Hals eine Lesung halten muss, verschwammen für einen Augenblick Dichtung und Wahrheit. Mit solch amüsanten Darstellungen hatte der Autor die Lacher des rund zwanzigköpfigen Publikums immer wieder auf seiner Seite.
Immerhin erging es ihm damit besser als seinem Protagonisten. Bei dessen Lesung in Leipzig lachte nämlich niemand.
Auch sonst hat der Autor trotz allem eher weniger mit seiner Figur gemeinsam. Im Gegensatz zu Kranich liegt bei Orths das nächste Manuskript nämlich schon in der Schublade.
Alle Freunde satirischer Alltagsbeobachtungen dürfen somit auf weitere Geschichten gespannt sein. Bis es soweit ist, machte der Abend durchaus Lust, Orths bisherige Bücher einmal ganz zu lesen.
Christian Haas
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