11.03.2008 (fjh)
Ein Stück für Jugendliche ist das absolut nicht. Dennoch wurde "Nordost" vom Torsten Buchsteiner als Stück für Jugendliche ab 15 Jahren angepriesen. Im Rahmen der 13. Hessischen Kinder- und Jugendtheaterwoche haben das "Theater Rampe" in Stuttgart und das "Ensemble Cantadoras" in Essen am Montag (10. März) diese Aufarbeitung des Terroranschlags auf ein Moskauer Musical-Theater auf die Bühne des Theaters im Schwanhof (TaSch 1) gebracht.
Aus der Perspektive von drei Frauen schildert das Stück den Überfall tschetschenischer Terroristen auf das Theater an der Dubrowka im Oktober 2002. Jede der drei Frauen nimmt dabei eine andere Position ein.
Zura hat ihren Mann im Krieg gegen Russland verloren. Die "Schwarze Witwe" schließt sich den Rebellen an, um den Tod ihres Mannes zu "rächen".
Auch Tamara trauert um ihren Nicolai. Er ist zwar lebend aus dem Krieg gegen die Tschetschenen zurückgekehrt, doch hat das Morden seine Persönlichkeit dramatisch verändert. Die Ärztin tröstet sich nun mit anderen Männern. Doch bei allen denkt sie immer nur an ihn.
Mit ihrer Tochter möchte Tamara ins Musical gehen. Doch ein Kollege fällt aus und sie springt für ihn ein. Sie übernimmt die Nachtschicht im Rettungswagen.
Olga erfüllt sich einen Traum: Gemeinsam mit ihrem Mann Olec und ihrer Tochter besucht sie die Aufführung des Musicals. Alle drei haben sich dafür chick gemacht.
Doch was sich dann im Theater abspielt, das ist widerwärtig und brutal. Plastisch schildern die drei Frauen die Ereignisse immer aus ihrer jeweiligen Sicht.
Rund 850 Menschen haben die Terroristen als Geiseln genommen. Sie alle sind dem Anführer der Gruppe auf Gedeih und Verderb ausgeliefert.
Die Rebellen wiederum rechnen vergeblich mit einem Einlenken der russischen Regierugn. Ihre Unterhändler halten die Gruppe so lange hin, bis ihnen ein Coup zur Beendigung des Geisel-Dramas gelingt: Gas strömt ins Theater hinein.
Hart und präzise - doch zugleich auch voller tiefer Emotion - schildern die drei Schauspielerinnen Adriana Kocijan, Janin Roeder und Petra Weimer die Geschehnisse im und rund um das Theater herum. Mit geringsten bühnenbildnerischen Mitteln hat Eva Hosemann das Drama über Hass und Gewalt, Rache und Unnachgiebigkeit, Angst und Hoffnung umgesetzt. Diese Inszenierung geht tief unter die Haut.
"Nordost" ist nichts für zart besaitetere Gemüter. Als Programmpunkt der Kinder- und Jugendtheaterwoche war dieses Stück völlig fehl am Platze. Bei seiner Aufnahme in den Veranstaltungskatalog der Jugendtheaterwoche ist die Festspiel-Leitung ihrer pädagogischen Verantwortung absolut nicht gerecht geworden.
Ehrlicherweise sollten solche Stücke künftig als Gastspiele für Erwachsene angekündigt werden. Dann hätte die Auseinandersetzung mit dem Terrorismus, seinen Ursachen und Folgen sowie seiner Bekämpfung den Rahmen, den sie verdient.
Für ihre brillianten Leistungen spendete das merklich schockierte Publikum den drei Darstellerinnen und der Rregisseurin nach der 90-minütigen Aufführung zu Recht minutenlangen Applaus. Ihnen ist eine anrührende, aufrüttelnde und nachdenklich stimmende Auseinandersetzung mit einem tief bewegenden Thema gelungen. Eindrucksvoll eindringlich warnten sie vor Hass und Gewalt, ohne dabei den Zeigefinger zu erheben oder irgendjemanden zu verurteilen.
Franz-Josef Hanke
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