Logo: marburgnewsMobile Marburgnews

Zum Menü

Haas las


Krimi-Passagen könnten auch als Kabarettprogramm gelten

20.10.2009 (fjh)
"Wenn Du stirbst, dann muss man Dein Maul hinterher noch extra totschlagen!" Mit dieser Redensart eröffnete Wolf Haas am Montag (19. Oktober) in der vollbesetzten Waggonhalle seine Lesung "Der Brenner und der liebe Gott".
Fast wie der so kritisierte "Sprechdurchfall" kamm dann auch der Vortrag des österreichischen Schriftstellers daher: Er war weniger eine bedächtig buchstabierte Lesung als vielmehr die auswendige Rezitation von Passagen aus seinem neuesten Kriminalroman.
Herr Simon arbeitet als Chauffeur eines Baulöwen. Er transportiert dessen zweijährige Tochter Helena regelmäßig von der Abtreibungsklinik der Ehefrau des Bauunternehmers in Wien zu dessen "Hütte" in Kitzbühel.
Dabei kommt ihm seine Vergangenheit als Polizeibeamter zugute. Denn vor der Abtreibungsklinik muss er die Kleine durch ein Spalier von Abtreibungsgegnern hindurchschleusen.
Mit beißendem Spott, feinsinniger Ironie, gekonntem Wortwitz und viel Situationskomik beschreibt Haas die Szenen in seiner Geschichte. Ebensogut wie als "Lesung" aus seinem Krimi könnte der Autor etliche Passagen auch einfach als Kabarettprogramm ausgeben.
Nach einer längeren Passage in betont atemlosem Sprach-Stakkato verließ Haas am Montagabend kurz seine Kriminalgeschichte, um eine andere Szenerie einzustreuen: Kurz berichtete er von einem Interview mit der Wiener Zeitung Der Standard, um anschließend aus Postings im Internet-Forum des Blatts über seinen jüngsten Krimi zu zitieren.
Dort mutmaßten User, Haas habe durch die internationale Finanzkrise viel Geld verloren und sei deswegen gezwungen, seine Figur des "Brenner" nach längerer Pause wiederaufleben zu lassen, weil er sich des Verkaufserfolgs sicher sein könne. Andere hielten dagegen, dass der Autor doch gerade erst ein Filmprojekt beendet habe, mit dem er sich sicherlich "dumm und dämlich verdient" haben müsse.
Mit spürbarer Genugtuung las Haas alle Postings im Wortlaut vor. Dabei korrigierte er auch die Tippfehler einiger User nicht.
Anschließend folgte eine zweite Passage aus dem Krimi, die den Chauffeur auf eine Tankstelle führt. Hier kauft er schnell eine Tafel Schokolade für die kleine Helena, obwohl ihre Mutter ihm das ausdrücklich verboten hat.
Nach einer 20-minütigen Pause folgte eine weitere Passage: Als Simon zum Auto zurückkommt, ist Helena weg. Er bittet den Tankwart, ihm das Überwachungsvideo vorzuspielen, um zu sehen, wo sie wohl sein könnte.
Dabei sieht er sich selbst völlig aufgelöst rückwärts rund um die Tankstelle laufen. Rückwärts geht er zu dem großen Auto, bevor der Film ihn schließlich doch noch vorwärts aussteigen und um die Tankstelle herumlaufen lässt.
Dann streute Haas wieder einige Postings aus dem Internet in seine Lesung ein. Diesmal zitierte er österreichische Schülerinnen und Schüler, die eine Inhaltsangabe seines Buchs "Der Knochenmann" suchten, weil sie in der Schule ein Referat darüber schreiben mussten.
Er hasse derartige Zusammenfassungen, erklärte Haas. Niemals könnten sie den Inhalt seiner Romane wirklich wiedergeben. Aber meistens lägen sie dermaßen falsch, dass sie gar nicht seine Geschichte meinen könnten.
Zum Abschluss zitierte er noch eine Passage seines Romans, in der der Chauffeur wieder zur Tankstelle zurückgekehrt ist. Hier begegnet er einer rothaarigen Frau, die er bereits auf dem Überwachungsvideo gesehen hat.
"Südtirolerin", ruft der Chauffeur ihr hinterher, denn an der Aussprache ihrer Zigarrettenmarke hat er sie als Frau aus Südtirol erkannt.
Mit irrwitziger Situationskomik beschreibt Haas den unbeholfenen Versuch des Chauffeurs, die Frau anzusprechen. Ebenso wie in den anderen Szenen scheint dabei auch hier einiges an Sozial- und Kulturkritik durch.
Am Ende der Veranstaltung entließ ihn das begeisterte Publikum mit langanhaltendem Applaus an den Büchertisch, wo er noch fast eine halbe Stunde lang Bücher oder Hörbücher signierte. Tatsächlich kenne er seine Texte auswendig, erklärte er nachher. 40 Lesungen habe er in den vergangenen Wochen bereits absolviert. Da komme ihm diese gute Textkenntnis sehr zupass.
Für die Besucher der Veranstaltung war es ein gelungener Abend. Er machte wirklich Lust darauf, das ganze Buch und auch andere Romane des 49-jährigen österreichischen Erfolgs-Autors zu lesen.
Franz-Josef Hanke
Text 2909 groß anzeigen

www.marburgnews.de

© 2017 by fjh-Journalistenbüro, D-35037 Marburg