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Steinigung startet


Stadt lässt Rosenstraße 9 abreißen

11.10.2009 (fjh)
Offenbar aus Unkenntnis über seine historische Bedeutung hat die Denkmalschutzbehörde ebenso wie der Denkmal-Beirat einem Abriss des Hauses Rosenstraße 9 zugestimmt. Dagegen läuft der Marburger Kunsthistoriker Angus Fowler Sturm. Um das Haus zu retten, hat die Marburger Linke (ML) einen entsprechenden Antrag ins Stadtparlament eingebracht.
Das Haus dürfe weder abgerissen noch abgetragen werden, sondern müsse unter Beibehaltung der Bausubstanz in ihrer jetzigen Form erhalten und in dieser Form in das neu zu gestaltende Umfeld integriert werden, fordern die Linken. Geplant ist in diesem Bereich der Neubau eines Informationszentrums der Deutschen Vermögensberatung (DVAG).
Das Haus Rosenstraße 9 wurde 1876 vom bereits 1868 in Marburg ansässigen Maurermeister und Bauunternehmer Johann Georg Heres (auch Heeres genannt) als Eigentum für sich selbst errichtet. Mit klassizistischer Form und reichem Terrakotta-Dekor stellt sich das Haus als gediegener, anspruchs- und qualitätsvoller Bau der Gründerzeit dar. Das Haus galt seinerzeit offensichtlich als Musterhaus, als Visitenkarte seines Bauherrn und Erbauers sowie seines Berufs.
Wohl auch von Heres stammt das ähnliche - zehn Jahre ältere - Haus Ketzerbach 14. Es wurde 1865 ebenfalls mit Terrakotta-Dekor erbaut. Es ist das älteste Haus mit sichtbarem Ziegel-Mauerwerk überhaupt in Marburg.
Heres hatte nachweislich 1880 am Wohnhaus-Teil dieses Hauses und am Nachbarhaus Ketzerbach 15 (ein Fachwerkbau) gearbeitet. Bauherr von Ketzerbach 14 und 15 war Otto von Heusinger (1830-1901).
Vielleicht auch von Heres stammt das Haus Barfüsserstraße 19. Es ist das älteste Haus mit voll sichtbarem Ziegel-Mauerwerk in der Oberstadt.
Im Haus Rosenstraße 9 hat Heres - zumindest bis 1884 - nicht gewohnt. Nach Ausweis der Marburger Adressbücher hat er 1868 und 1874 in Zwischenhausen in einem Vorgängerbau der 1892 erbauten Ketzerbach-Schule gelebt. Spätestens 1876 ist er in das große, verputzte Haus Ketzerbach 18 gezogen, wo er 1884 noch lebte.
Es scheint so, als habe sich Johann Georg Heres mit diesen Bauten mit sichtbarem Ziegel- und Bruchstein-Mauerwerk in der Stadt Marburg erstmals als Maurer und Bauunternehmer mit diesen Baumaterialien befasst. Derartige Baumaterialien wurden damals insbesondere in Brandenburg-Preußen verwendet. Wohl durch den Einfluss des Architekten und Architekturtheoretikers Georg Gottlob Ungewitter (1820-1864) als Lehrer an der kurhessischen Höheren Gewerbeschule in Kassel fanden sie zunehmend auch in Kurhessen Eingang.
Allein aus baugeschichtlichem Grund schon hat das Haus Rosenstraße 9 eine hohe Bedeutung. Die noch vorhandenen Gebäude und Stallungen im Hinterhof und die dazu gehörige - leider inzwischen abgebrochene - Schmiede zeugen von einem bedeutenden Baukomplex.
Zusätzlich aber kommt dem Haus durch seine Bewohner eine hohe sozial- und kulturgeschichtliche Bedeutung zu: Spätestens 1881 wohnte hier Prof. Ferdinand Justi (1837 - 1907). Er war Germanist und ein sehr bedeutender Orientalist seiner Zeit. Als Verfasser einer Grammatik der kurdischen Sprache und als Volkskundler sowie Trachtenforscher war er auch Verfasser des Hessischen Trachtenbuches. Zudem war er Maler und Zeichner.
Im Haus Rosenstraße 9 wuchs Justis Sohn, der weltbekannte Kunsthistoriker Ludwig Justi (1876-1957), auf, der Direktor der Nationalgalerie in Berlin und später Generaldirektor der Staatlichen Museen zu Berlin wurde und der sich - wie sein Kunsthistoriker-Kollege Prof. Richard Hamann - 1950 für den Erhalt des Berliner Schlosses einsetzte. Älterer Bruder von Ferdinand Justi war der Philosoph und Professor für Kunstgeschichte in Bonn, Carl Justi (1832-1912).
1884 wohnten im Hause neben der Familie Justi der Rentier und ehemalige Buchhändler Carl Kratz und der Hauptmann von Appell, der Aufsätze in der Zeitschrift des Vereins für Hessische Geschichte und Landeskunde veröffentlichte. "Wenn solche Persönlichkeiten 1884 im Hause Rosenstraße 9 gewohnt haben, kann das Haus für sie nicht ganz ohne Bedeutung oder Stil gewesen sein", schreibt Fowler.
Erst vor drei Jahren in die Druckvorlage der immer noch nicht veröffentlichten Denkmal-Topographie der Stadt Marburg in Band 2 – die Grundlage der Denkmal-Liste - verbindlich aufgenommen, "wirkt die Aufgabe des Hauses jetzt ohne genaue Prüfung oder detaillierte Bestandsaufnahme außen und innen wie ein Hohn", fährt Fowler fort. Wie aber bereits im Falle des Behring-Labors an der Wannkopfstraße wurde im Fall von Rosenstraße 9 offensichtlich durch Ignoranz bzw. fehlendes Wissen, da keine weitergehende Erforschung des Hauses stattgefunden hat, die
Bedeutung des Baues durch die Denkmalbehörden jetzt gänzlich verkannt oder nicht wahrgenommen und heruntergespielt. Nur so konnte das Haus als Wirkungsort der Familie Justi leichtfertig von der Denkmal-Liste gestrichen werden, um einem Neubau geopfert zu werden.
"Die Aufnahme einiger der Bau-Elemente des Hauses in den Neubau bzw. die nach Abtragung wieder aufgebaute Vorderfassade können den Verlust des Hauses im Ganzen nicht wieder gut machen", meint Fowler. "Der Öffentlichkeit gegenüber sind die Denkmalbehörden eine Antwort schuldig, warum sie erst das Haus auf die
Denkmal-Liste gesetzt und nun gestrichen haben. Eine solche Vorgehensweise stellt Sinn und Zweck des Denkmalschutzes völlig in Frage und macht den Denkmalschutz und die Denkmalbehörden in einer Stadt, die sich nach eigenem Bekenntnis anschickt, Welt-Kulturerbe-Stadt zu werden,
unglaubwürdig."
Für den Investor und sein Vorhaben und für die künftig zu erwartenden Besucher des Kongress-Zentrums würde die Erhaltung des authentischen Denkmals Rosenstraße 9 im Ganzen (und nicht nur eine vorgeblendete Fassade) eine weitaus positivere Wirkung als Abbruch oder Abtragung erzielen, meint Fowler abschließend.
pm: Fraktion Marburger Linke
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