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Identität versöhnt


Fulminante Familienchronik aus Taiwan

30.09.2009 (jnl)
Eine Familienchronik à la Buddenbrooks kann doch auch im südchinesischen Inselstaat Taiwan spielen. Auf Lesereise stellte die chinesische Autorin Jade Y. Shen am Dienstag (29. September) im Technologie- und Tagungszentrum (TTZ) ihren Roman "Die Insel der Göttin" vor.
Jade Y. Shen saß gemeinsam mit ihrer Verlegerin Ricarda Solms auf der Bühne. Die 52-jährige Wahl-Münchnerin las für die des Chinesischen Kundigen im Publikum aus dem Original. Aus der deutschen Übersetzung las die Chefin des kleinen Münchner Frühling-Verlags für das deutsche Publikum. Leider waren aber wegen offenbar starker Veranstaltungs-Konkurrenz diesmal nur etwa dreißig Zuhörer im TTZ erschienen.
Stark autobiografisch gefärbt, erzählt Shen in diesem monumentalen Roman von der Rückeroberung eigenen Lebens über drei Frauengenerationen. Die Männer dieser unternehmerisch erfolgreichen Mittelstandsfamilie fielen dem Krieg oder dem Weißen Terror unter Tschiang Kaishek zum Opfer. Die Frauen mussten sich allein durchschlagen.
Die Großmutter und auch die Mutter der Erzählerin wurden darüber bitter und schweigsam. Aus dieser Atmosphäre lieblosen nebeneinanderher-Lebens flieht die Protagonistin des Romans als 20-Jährige ins ferne Europa.
Fort wollte sie damals und nie zurück. Dennoch kehrte sie, nachdem sie sich hier ein eigenes Leben aufgebaut hatte, zwanzig Jahre später auf der Suche nach ihren Wurzeln in ihr Ursprungsland zurück. Ihr deutscher Verlobter hatte durch beharrliches Fragen erreicht, dass sie Lust bekam, die dunklen wie die helleren Seiten ihrer Jugenderlebnisse dort aufzuarbeiten.
Der 420-seitige Roman mischt geschickt historische Rückblenden und atmosphärische Beschreibungen des Alltagslebens auf der tropischen Inselrepublik. Besonders der Mythologie und vielfältig polytheistischen Götterverehrung wird breiter Raum gewidmet.
Die Autorin hat durch ihr langjähriges Leben im westlichen Ausland eine luzide Distanznahme in ihren Schilderungen und Beobachtungen. Nur dadurch gelingt es ihr, die an sich schwere Kost der psychologischen Aufarbeitung ihrer Kindheits- und Jugenderlebnisse erzählerisch auszubalancieren.
Das Buch wurde nach Erscheinen im chinesischen Original 2004 in Taiwan ein vielfach preisgekrönter literarischer Bestseller. Zuvor gab es dort nichts Vergleichbares.
Die Übertragung ins Deutsche erforderte einen doppelten Anlauf, wie sich im - an die Lesung anschließenden - Gespräch mit der Autorin und ihrer Verlegerin herausstellte. Die chinesische Sprache ist so konnotativ vielschichtig und bildhaft aufgebaut, dass der Transfer ins Deutsche erst durch komplette Neubearbeitung nach einer misslungenen Erstübersetzung gelang.
Lebhafte Fragen nach Land und Leuten in Taiwan und den Bezügen dazu im Buch prägten die Fragerunde mit dem Publikum. Shen berichtete, dass Wohlstand und eine starke Konsumorientierung neben den alten Traditionen heute das Land prägen. Immerhin gelinge die Demokratie und die Meinungsfreiheit.
Von sich erzählte sie, dass dieses Buch ihr die Versöhnung mit ihrem Ursprungsland ebenso wie mit ihren familiären Erinnerungen ermöglicht habe. Seither könne sie endlich wieder ihre Identität und Heimat-Bezüge als Taiwanesin klar wahrnehmen.
Ihr Leben in Deutschland helfe ihr, alles schärfer zu sehen. Sie zitierte Siegfried Lenz: "Man braucht Distanz, um Dinge gut beschreiben zu können".
Im Brotberuf ist Shen übrigens Journalistin und Europa-Korrespondentin der taiwanischen Tageszeitung "United Daily News". Nebenbei hat sie als Autorin bereits mehr als ein halbes Dutzend Romane auf Chinesisch herausgebracht.
Mit ihrem bemerkenswerten neuen Roman - auf Deutsch 2008 herausgekommen - ist sie beim diesjährigen Länderschwerpunkt China der Frankfurter Buchmesse die literarische Botschafterin Taiwans, der "Insel der Göttin".
Jürgen Neitzel
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