Logo: marburgnewsMobile Marburgnews

Zum Menü

Flaschen vor


König Kunde kommt erst viel später dran

13.09.2009 (fjh)
Es ist spürbar abgekühlt. Von Weitem dringt das ungleichmäßige Rauschen der Stadtautobahn B3A an mein Ohr. Ich überquere den Parkplatz des EdeKa-Markts an der Rosenstraße.
Die Abkürzung "EdeKa" steht für "Einkaufsgenossenschaft deutscher Kaufleute". Doch die einstige Genossenschaft selbständiger Kaufleute hat inzwischen längst die Form einer kommerziellen Supermarktkette angenommen. Auch in Marburg unterhält sie mehrere Filialen. Eine davon befindet sich an der Rosenstraße.
Gegen 18.15 Uhr betrete ich am Samstag (12. September) dieses Lebensmittelgeschäft. Ich steuere dorthin, wo ich eine Kasse vermute. Das Piepsen eines Scanners verrät mir die ungefähre Richtung.
Aufgrund meiner Sehbehinderung bin ich beim Einkaufen auf Unterstützung angewiesen. Wer die Waren in den Regalen nicht sehen kann, der muss sich eben bei einem Sehenden dessen Augen "ausleihen".
Mehr als zehn Minuten lang warte ich auf eine Einkaufshilfe. Dann kommt eine junge Frau bei mir vorbei.
"Es wird noch ein paar Minuten dauern", sagt sie. "Es hat aber schon ziemlich lange gedauert", antworte ich darauf.
Dennoch bleibe ich ruhig an der Stelle stehen, wo ich inzwischen schon eine ganze Weile gewartet habe. Mittlerweile ist es 18.30 Uhr geworden. "Bitte zur Kasse", ruft eine Frauenstimme jetzt schon zum zweiten Mal durch einen Lautsprecher. Diesem Ruf ist ein Name und die Anrede "Herr" vorangestellt.
Gegen 18.35 Uhr schließlich höre ich einen Mann, der sich dem Kassenbereich nähert. "Ich soll die Flaschen sortieren", ereifert er sich. Dann dreht er wieder ab.
"Wenn Ihnen die Flaschen wichtiger sind als die Menschen, dann tut mir das sehr leid", antworte ich laut. "Leider bin ich auf Hilfe angewiesen. Ich muss aber nicht hier einkaufen."
Verärgert verlasse ich den Laden. Niemand hat irgendein Wort der Entschuldigung an mich gerichtet. In Ungarn hat es vor Jahrhunderten schon einmal einen blinden König gegeben. Auf alten Gemälden ist er mit einer Gardine vor den Augen abgebildet.
In Deutschland muss man hart kämpfen, um als Blinder seinen Alltag zu bewältigen. Aber es gibt viele hilfsbereite Mitmenschen. Bei EdeKa hingegen sind leere Flaschen anscheinend wichtiger als der vielzitierte "König Kunde"
Franz-Josef Hanke
Text 2750 groß anzeigen

www.marburgnews.de

© 2017 by fjh-Journalistenbüro, D-35037 Marburg