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Leid und Lebensfreude


Trio Kali Gari begeisterte die Waggonhalle

12.09.2009 (fjh)
"Wer wird bleiben? Was wird bleiben?" Diese Fragen stellte Abraham Sutzkever 1972 in einem Gedicht. Das "Trio Kali Gari" brachte seine Fragen am Freitag (11. September) eindrucksvoll auf die Bühne der Waggonhalle.
Vor leider nur gut 40 Zuschauern zeigten die drei virtuosen Musiker dort ihr Einfühlungsvermögen und ihr Können. Jiddische Klezmer-Musik bereicherten sie um Tänze aus Rumänien und Ungarn, transilvanische Liebeslieder oder US-amerikanischen Swing.
Bereits mit ihrem ersten Stück spannten sie die ganze Bandbreite ihres musikalischen Repertoirs auf. Langsam begann Kontrabassist Reinhard Röhrs. Vorsichtig fiel die Geigerin Karin Christoph Ein. Dann schloss sich auch Akkordeonist Thomas Denker der traurigen Weise an. Langsam gewann die- anfangs sehr schleppende - Melodie an Fahrt, bis sie schließlich in einen flotten Tanz voller Rhythmus und Schwung einmündete.
Im zweiten Stück fügten die drei Musiker zu ihrem gekonnten Spiel dann auch noch ihren Gesang hinzu. Immer wieder wechselten sie im Lauf des Abends zwischen rhythmischer Instrumentalmusik ohne Worte und Liedern mit oft hintersinnigem, tiefschürfendem und nachdenklich stimmendem politischem Inhalt.
Sutzkevers philosophisches Gedicht "Der Wind" hatten sie sehr eindringlich vertont. Der 1913 in Litauen geborene Dichter fragte sich darin, was nach der Shoa noch bleiben wird: "Eine Schaumkrone zur Erinnerung daran, dass es einmal ein Meer gegeben hat?"
Kontrabass, Akkordeon und Geige wichen am Ende des Lieds dem leisen A-Cappella-Gesang der drei Musiker, die schließlich im leise murmelnden Sprechchor fragten: "Wer wird bleiben? Was wird bleiben? Bleiben wird der Wind. Wer wird bleiben? Was wird bleiben?"
Auch Georg Kreislers "Tante" behandelte das gleiche Thema. Hier aber kam der Schrecken fast heiter daher, wie es dem unverkennbaren Markenzeichen des 1922 in Wien geborenen Schwarz-Humoristen entspricht.
Auch seine Frage nach der Heimat hatten die drei Klezmer-Künstler in ihr Programm aufgenommen. Sie verknüpften sie mit dem Hinweis auf das brennende Asylbewerber-Wohnheim in Rostock-Lichtenhagen und ein Interview, in dem der damalige Zentralrats-Vorsitzende Ignaz Bubis gefragt wurde, warum er nach alledem nicht in seine "Heimat" zurückgehe.
Trotz dieser nachdenklichen und mitunter auch mahnenden Töne dominierte die Lebensfreude den Abend. Abwechselnd sangen alle drei oder übernahmen auch mal die Moderation. Teile der jiddischen Texte übersetzten sie ins Hochdeutsch, um sie mitunter auch kurz zu interpretieren.
In der musikalischen Interpretation ihrer Stücke waren sie zweifellos Meister. Dabei mischten sie gekonnt Stilrichtungen und musikalische Einflüsse aus Jazz, Pop und Klezmer zu einem harmonischen Ganzen.
Seinen Kontrabass wandelte Röhrs auch schon mal in ein Perkussionsinstrument um. Seinem Akkordeon entlockte Denker mitunter auch unerwartete Töne.
Vor allem aber die Geigerin brillierte durch ihre Virtuosität. Christoph erwies sich in ihrer Feinfühligkeit wie auch in unglaublich rasanten Passagen als echte "Teufelsgeigerin".
Ganz in der osteuropäischen Tradition spielt beim "Trio Kali Gari" die Geige die Hauptrolle.
Ausgerechnet bei Kreislers "Tante" versang sich Denker. Dafür wusste er auch gleich den Grund: "Es ist das erste Mal, dass ich dieses Lied in Marburg/Hessen singe." Denn ein "Sohn in Marburg/Hessen" kommt in Kreislers Text vor. Auch 30 Jahre danach denkt die Tante immer noch, er sei am leben.
Trotz solch eindringlicher Momente vermittelte der Abend doch ein zuversichtliches Gefühl pulsierender Lebensfreude. So mussten die drei Musiker auch drei Zugaben spielen, bevor das zu Recht begeisterte Publikum sie an ihren CD-Verkaufstisch entließ.
Franz-Josef Hanke
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