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Zur Gewalt gegriffen


Politischer Salon zur Bundeswehr am Hindukusch

27.06.2009 (atn)
Was macht Deutschland eigentlich in Afghanistan? Diese schon so oft diskutierte Frage nahmen am Freitag (26. Juni) noch einmal die drei Gäste des Politischen Salon vor viel Publikum im Historischen Rathaussaal auf.
Eingeladen zum Politischen Salon hatte wieder PD Dr. Johannes Becker vom Zentrum für Konfliktforschung (ZfK) der Philipps-Universität. Zu Gast waren drei Gutebekannte mit recht konträren Ansichten: Thomas Gebauer von medico international, Prof. Dr. Norman Paech, Mitglied des Bundestages für Die Linke, und Sören Bartol, im Bundestag für die SPD.
Zunächst hatte jeder Diskutant die Möglichkeit, seine Position zum Thema "Was macht Deutschland in Afghanistan?" darzulegen. Daran schloss sich eine Fragerunde an, in die das Publikum erst recht spät einbezogen wurde. Hier entluden sich einige Emotionen und heizten die Salon-Atmosphäre bisweilen kräftig an. Aber immerhin entstand dabei so etwas wie ein politischer Diskurs - nicht zu übertreffen von der Konkurrenzveranstaltung des Uni-Sommerfestes.
Bartol lies zu Beginn der Veranstaltung etwas auf sich warten, hatte dann aber einen ziemlich blassen Auftritt. Seine Redezeit von 15 Minuten schöpfte er nur zu einem Drittel aus. Was in dieser Zeit von ihm als "seine Meinung" zum Thema "Deutschland in Afghanistan" dargeboten wurde, schien eher aus den großen deutschen Tageszeitungen zusammengeklaubt. Hier hörte man nicht viel Neues und auch nicht viel Anregendes. Aber immerhin informierte Bartol darüber, dass er persönlich auch nicht über der Präsenz der deutschen Truppen im Hindukusch glücklich sei. Gleichzeitig lobte er aber den dadurch erreichten Fortschritt im Land.
Gebauers Ausführungen zu der Thematik hatten dem gegenüber ein Vielfaches an Tiefe. Hier kann man sagen: Leider ist Gebauer nicht Mitglied irgendeiner Partei, aber sicherlich gibt es auch im Bundetag Menschen, die über das Thema Afghanistan ähnlich gründlich nachdenken. Im Jahr 1997 hat Gebauer als Geschäftsführer von medico international den Friedensnobelpreis für die "Internationale Kampagne zur Ächtung der Landminen" entgegengenommen. Im Rathaus offenbarte er sein Engagement für globale Solidarität, für kritische Analysen und umfassende Perspektiven.
Gebauer hatte die "Bild" mitgebracht, die in der letzten Woche erstmals tote deutsche Soldaten als "Gefallene" bezeichnet hatte. Er plädierte für den Ende des politischen Euphemismus bezüglich des Krieges in Afghanistan. Seiner Meinung nach geht es in Afghanistan primär um militärische Intervention, die zur Rechtfertigung vor den Menschen in Europa und vor Ort mit einigen mehr oder weniger humanitären Wohltaten garniert wird.
Gebauer bezeichnete sowohl die Forderung nach Unterstützung der afghanischen Bevölkerung, als auch die Forderung nach einem Rückzug der deutschen Truppen als gerechtfertigt. Damit ist er einer der seltenen Fälle, die ein Dilemma als solches analysieren können und dabei auch noch den Spagat zwischen beiden Standpunkten schaffen. Diese Fähigkeit verschafft Gebauer eine große Glaubwürdigkeit. Außerdem bringt es in die oft endlosen Afghanistan-Diskussionen ein recht konstruktives Element ein, das beim fröhlichen im-Kreis-Drehen meist dringend nötig ist.
Paechs Darlegungen und Reiseberichte aus Afghanistan waren nicht minder interessant und aufschlussreich. Hier sprach ein Ex-SPDler, der sich freute, mit der linken Meinung zur Afghanistan-Politik mal aus der Ecke der "bockigen Ideologen" herausgekommen zu sein.
Paech hob hervor, dass der militärische Einsatz in Afghanistan weder ein rechtmäßiges Mandat habe noch zufriedenstellend koordiniert sei. Die humanitäre Situation schätzte er als nicht wesentlich besser als vor 2001 ein. Er hob auch hervor, dass Pläne zur Intervention in das Land am Hindukusch bereits vor den Anschlägen auf das World Trade Center bestanden haben. Als Grund hierfür nannte er den immerwährenden Rohstoffhunger der Industrienationen, der in lockerer Selbstbedienungsmanier alles gerade notwendige rechtfertigt. Frei nach dem Motto: "Warum ist eigentlich unser Öl unter deren Sand vergraben?".
Die sich anschließende Diskussion wurde für Bartol eine Herausforderung. Er fühlte sich auf dem Podium etwas unterrepräsentiert und gegenüber dem Publikum wie in einer "Ex-SPD-ler Selbsthilfegruppe". Gebauer schüttelte während etlicher solcher Ausführungen Bartols immer wieder leicht resigniert den Kopf. Irgendwann ging er dann zu abwartendem Stuhlwippen mit vor der Brust verschränkten Armen über. Paech blieb während der Diskussionen erfreulich offen und nahm auch viele Publikumsfragen auf. Becker wiederum freute sich herzlich über die wogende Diskussion.
Die gegen Ende doch eher an eine Plenarsitzung erinnernde Debatte brachte etliche neue Aspekte in der Afghanistan-Diskussion. Insgesamt wurde jedoch zu viel Energie in das gegenseitige Abgrenzen von Standpunkten und politischen Lagern gesteckt. Wie ein Teilnehmer aus dem Publikum treffend anmerkte, ging es bei der Diskussion schließlich nicht um banale Dinge wie die Abwrackprämie. Es wurde etwas viel Elementareres diskutiert, nämlich die Frage nach Krieg und Frieden. Und diese Frage sollte man weder parteipolitischen instrumentalisieren noch mit pauschalen Allgemeinplätzen abhandeln.
Anika Trebbin
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