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Ein Schlag für Alle


Wie ein Schlaganfall das Leben verändert.

04.06.2009 (kwn)
Es war ein Herbsttag wie jeder andere gewesen. Bruno L. hatte das Auto genommen, um zu der Gartensparte zu fahren, in der er seit Jahren ein kleines Stück Land sein Eigen nannte. Dort stand ein verwittertes Häuschen, umgeben von dem stets vorbildlich gestutzten Rasen.
Eine Schaukel baumelte seit langem unberührt über einem Steinweg, der quer durch den Garten führte. Ein paar Kartoffeln und Bohnen wuchsen auf einem Feld. Herbstblüher setzten farbenfrohe Punkte. Leuchtend bunte Kirsch- und Apfelbäume trugen süße, überreife Früchte.
Es war, als wolle sich ihm die Welt noch einmal in all ihrer Schönheit präsentieren, bevor ihm der eigenständige Zugang zu ihr für immer verwehrt sein würde. Am Abend, zurück in seiner Wohnung, zerplatzte ein winziges Blutgefäß in seinem Gehirngewebe und lähmte seinen Körper einseitig.
Jedes Jahr erleiden rund 200.000 bis 250.000 Menschen in Deutschland einen erstmaligen oder wiederholten Schlaganfall. Weltweit gilt die Erkrankung als die zweithäufigste Todesursache. Zudem ist sie die Ursache für jede dritte Behinderung und vorzeitige Invalidität im europäischen Raum.
Heute leben etwa eine Million Bundesbürger mit den Folgen eines Schlaganfalls. Experten der Welt-Gesundheitsorganisation (WHO) sprechen längst von der Epidemie des 21. Jahrhunderts.
Bei einem Schlaganfall kommt es zu einem unvermittelten Ausfall von bestimmten Funktionen des Gehirns. In circa 80 Prozent aller Fälle ist dafür ein Gefäßverschluss verantwortlich, der eine unzureichende Blut- und Sauerstoffversorgung spezifischer Hirn-Areale nach sich zieht. Die Ursachen solcher Hirninfarkte sind vielfältig. Arterienverkalkung, die so genannte Arteriosklerose, ruft Einengungen oder Verschlüsse von Hirn- oder hirnversorgenden Halsgefäßen hervor. Von einer Thrombo-Embolie sprechen Mediziner, wenn sich ein Blutpfropf, der sich beispielsweise im Herzen oder in der Halsschlagader gebildet hat, von seinem Entstehungsort löst und mit dem Blutstrom in die Hirngefäße fließt, wo er einen Gefäßverschluss bewirkt.
Stecknadelgroße Defekte im Hirngewebe sind Folge einer Mikro-Angiopathie. Darunter versteht man eine krankhafte Veränderung der kleinsten Arterien im Hirn-Inneren.
Die Auswirkung bleibt bei allen Auslösern identisch: Eine ausreichende Durchblutung bestimmter Hirn-Areale kann nicht mehr gewährleistet werden. Sie müssen ihren Dienst am Menschen einstellen.
Bei circa 20 Prozent der Schlaganfall-Patienten wird eine Hirnblutung als Ursache diagnostiziert. Aus geplatzten Gefäßen, die sehr häufig durch Arteriosklerose vorgeschädigt sind, tritt Blut in das umliegende Hirngewebe ein und legt dessen Funktionen lahm.
Auslöser sind zumeist ein erhöhter Bluthochdruck, der plötzliche Riss eines Blutgefäßes oder Gefäßverletzungen. Sehr selten werden Schlaganfälle auch durch Subarachnoidalblutungen verursacht. Hierbei tritt Blut aus beschädigten Gefäßen in den sogenannten "Subarachnoidalraum" ein. Das ist ein schmaler Bereich im Schädelinnern zwischen der Hirn-Oberfläche und der weichen Hirnhaut. Dieser Bereich ist gewöhnlich mit Hirnwasser angefüllt, das das menschliche Gehirn schwimmend einbettet und schützt. Ausnahme-Erscheinungen Schlaganfall bewirkender Faktoren sind Gefäßentzündungen oder Gefäßverletzungen, Störungen im Blutgerinnungssystem sowie Gerinnselbildungen der venösen Blutleiter.
Bei Bruno L. wurde im Krankenhaus eine Hirnblutung festgestellt. Er hatte es sich mit einem Bier vor dem Fernsehgerät gemütlich gemacht und wollte sich einen Spielfilm ansehen, als es ihn erwischte.
Mit Hilfe eines computergestützten Röntgenverfahrens, der Computertomographie (CT), wurden sein Gehirn und eine Hirnblutung beachtlicher Größe sichtbar gemacht. Seine Vitalfunktionen wurden stabilisiert, die Normalisierung und Überwachung von Körpertemperatur, Blutdruck und –zucker angestrengt. Alles sollte getan werden, um seine Genesung voranzutreiben, seinen lebensbedrohlichen Zustand zumindest nicht weiter zu verschlechtern.
Es stand nicht gut um ihn, da der Schlaganfall stark war und schnelle Hilfe nicht gewährleistet war. Schon vor Jahren hatte sich seine Frau von dem 47-jährigen Mann getrennt, weil er im Zuge seiner Langzeit-Arbeitslosigkeit immer mürrischer und unausstehlicher wurde. Ein Zusammenleben mit ihm beengte, machte unglücklich und war einsam.
So zogen die Kassiererin und die beiden gemeinsamen Kinder Moritz (17) und Annika (21) ein von ihm räumlich getrenntes Leben vor. Viele Freunde hatte der Alleingänger sonst nicht. Seine Mutter war gestorben, der Vater hatte sich von ihm abgewendet, der Kontakt zu seinen drei Geschwistern war mäßig. Einen Weg ins Berufsleben suchte der Gas-Wasser-Installateur seit langem vergebens. Der kleine Garten außerhalb der Stadt war sein einziger Rückzugsort. Dort konnte er für ein paar Stunden sein trauriges, unbefriedigendes Dasein vergessen. Seine Kinder besuchte er am Wochenende, wenn sie sich von Lehrstelle und Studium daheim einfanden. Die Zeit dazwischen war er vor allem sich selbst überlassen, da sich auch das Verhältnis zu seiner Frau nicht zu entspannen vermochte.
Als der sonst so zuverlässige Bruno L. jedoch an einem Freitagnachmittag auf sich warten ließ, machte sich seine Familie Sorgen und klingelte an der Haustür seiner hell beleuchteten Ein-Zimmer-Wohnung. Niemand öffnete. So wuchs das Unbehagen.
Ein Ersatzschlüssel sollte Gewissheit bringen. Der Anblick, mit dem sie konfrontiert wurden, brannte sich für immer in das Gedächtnis der Besucher. Bruno L. hatte seit Mittwoch bewusstlos in seiner Wohnung gelegen.
Dem Zeitfaktor kommt bei einem Schlaganfall deutlich höhere Priorität zu als beispielsweise bei einem Herzinfarkt, da nur innerhalb der ersten drei bis höchstens sechs Stunden nach Symptom-Beginn Gehirnzellen vor dem Absterben bewahrt werden können. Geistige sowie körperliche Folgen sind im Rahmen der schnellen Therapie der Hirnsubstanz verringerbar, wenn nicht vollständig zu vermeiden.
Neben der raschen Hilfeleistung durch die Mitmenschen ist es unerlässlich, die Signale seines Körpers, die auf einen drohenden Schlaganfall hinweisen, richtig zu deuten. Dazu zählen Sehstörungen wie die plötzliche Einschränkung des Gesichtsfeldes, die Entstehung von Doppelbildern oder Störungen des räumlichen Sehens, Sprach- und Sprachverständnis-Störungen, Lähmungserscheinungen auf einer Körperseite, Taubheitsgefühle, die vor allem im Gesicht, Armen oder Händen auftreten, Schwindel - verbunden mit Gang-Unsicherheit - sowie sehr starker Kopfschmerz. Sich unmittelbar in ärztliche Behandlung zu begeben und möglichst umfangreich über die Symptome Auskunft geben zu können, birgt auch hier die Möglichkeit, Einfluss auf die Folge-Komplikationen zu nehmen.
Bruno L. hatte nie über derartige Symptome geklagt. Wie es ihm kurz vor dem Hirnschlag erging, weiß nur er selber. Aber später sollte er sich an nichts mehr erinnern.
Ein entscheidender Auslöser war in seinem Fall vermutlich ein deutlich erhöhter Bluthochdruck, an dem er schon seit seiner frühesten Jugend litt. Er war in ärztlicher Behandlung deswegen, aber ein paar Tage nach seiner Einlieferung sollte seine Familie erfahren, dass die ihm verschriebenen Medikamente viel zu niedrig dosiert waren.
Aber ob der Hirnschlag tatsächlich durch den Bluthochdruck verursacht wurde, darauf wollte sich kein Arzt festlegen. Vielmehr sei oftmals eine Allianz verschiedener Faktoren verantwortlich. Trotzdem wird die Frage, ob eine angemessene Dosierung blutdrucksenkender Mittel hätte Schlimmeres verhindern können, für die Angehörigen wohl immer von Bedeutung bleiben.
Die Risikofaktoren für einen Schlaganfall sind äußerst vielfältig. Zu den nicht beeinflussbaren Aspekten gehört das Lebensalter. Grundsätzlich steigt die Wahrscheinlichkeit, dass einem die Erkrankung widerfährt, mit zunehmendem Alter erheblich. Ungefähr die Hälfte aller Schlaganfälle erleiden Personen über 75 Jahre.
Die Krankheit ist jedoch bei weitem kein Phänomen des Alters. Schätzungen zufolge haben 15 Prozent aller Betroffenen das 45. Lebensjahr noch nicht erreicht. Keinerlei Einfluss kann der Mensch auch auf seine Erbanlagen nehmen. Vor allem, wenn die Erkrankung bereits Familienmitglieder heimgesucht hat, ist zu einer konsequenten Prävention geraten, da in diesem Fall ein erhöhtes Schlaganfall-Risiko vorliegt.
Dann sollte man auf die beeinflussbaren Faktoren stets ein kritisches Auge werfen. Bluthochdruck, Fettstoffwechsel-Störungen, Diabetes mellitus und Vorhof-Flimmern sollten behandelt, schlechte Angewohnheiten wie das Rauchen, Alkoholkonsum, Fehlernährung, Bewegungsmangel und Übergewicht at acta gelegt werden. Konsequenz der meisten dieser Risikofaktoren ist nämlich Arteriosklerose, die wiederum die Hauptursache für Schlaganfälle ist.
Sie entsteht, wenn sich Cholesterin, Blutzellen, Bindegewebe und Kalksalze in die normalerweise elastische Gefäßwand einlagern und ihre zunehmende Starrheit herbeiführen. Die glatte Innenwand der Gefäße wird aufgeraut. Die Ablagerungen verstärken sich und verengen das Gefäß immer mehr. Blutgerinnsel - sogenannte Thromben - können sich bilden, in kleinere Hirnarterien geschwemmt werden und diese verschließen. Ein Schlaganfall ist die Folge.
Bruno L. hatte bis auf Bluthochdruck keine vererbbare Erkrankung. Niemand in seiner Familie hatte je einen Schlaganfall erlitten.
Seit er jung war, rauchte er gerne hin und wieder eine Zigarette, trank am Wochenende gelegentlich ein Bier und an Feiern vielleicht auch mal eins mehr, aber exzessiv betrieb er keines von beidem. Viel Sport trieb er nie. Trotzdem war er nicht der Typ, der überall mit dem Auto hinfuhr. Er ging zu Fuß Besorgungen machen und zur Wohnung seiner Frau. Wenn er einen 1-Euro-Job hatte, verlor er sogar ein bisschen an Körperumfang. Über einen typischen Wohlstandsbauch verfügte er wie fast jeder zweite Mittvierziger, aber als übergewichtig hätte ihn niemand bezeichnet.
Wahrscheinlich war es ein Potpourri der verschiedenen Einflussfaktoren, das ihn dieses Schicksal ereilen ließ. Besonders alt war er jedenfalls nicht mit seinen 47 Jahren.
In der Klinik wurde alles für ihn getan. Aber nach vier Wochen auf der "Stroke Unit" - einer eigens für Schlaganfall-Patienten ausgerichteten Krankenhausstation - war er noch immer nicht ansprechbar. Er wurde künstlich ernährt. Weil er nicht imstande war, selbstständig zu atmen, übernahmen diese Aufgabe Geräte für ihn.
Er kämpfte mit dem Tod. Das dauerte ganze drei Monate.
Heute verfügt nahezu jedes Krankenhaus im städtischen Raum über eine Schlaganfall-Station. Allerdings ist die Bezeichnung in Deutschland keineswegs gesetzlich geschützt. Wo "Stroke Unit" drauf steht, ist also nicht zwangsläufig eine leitliniengerechte Versorgung für Schlaganfall-Patienten garantiert.
Um dieses Defizit aus der Welt zu schaffen, hat die Deutsche Schlaganfall-Gesellschaft (DSG) gemeinsam mit der Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe ein Zertifizierungsverfahren entwickelt, das eine einheitliche Qualität der Spezialstationen gewährleisten soll. Eine unabdingliche Anforderung ist, dass den Betroffenen 24 Stunden am Tag eine schnelle Akut-Versorgung zugesichert werden kann.
Dazu gehört zum einen die technische Ausstattung, die die Überwachung vitaler Parameter sowie die Diagnostik der Schlaganfall-Ursache ermöglicht. Zum anderen sollen die Stationen permanent mit speziell ausgebildetem Fachpersonal besetzt sein.
Heute gibt es bundesweit rund 140 bettenführende, zertifizierte Stroke Units. In Marburg befindet sich eine solche Schlaganfall-Einheit an der Rudolf-Bultmann-Straße. Sie bietet Platz für vier Personen und nimmt die Akut-Versorgung der Patienten vor.
In der Krankenbetreuung erfüllt die Klinik den Versorgungsauftrag für neurologisch Kranke aus der gesamten Region. Das Universitätsklinikum Gießen und Marburg hat es sich zudem zur Aufgabe gemacht, zur Schlaganfall-Forschung beizutragen.
Die Verbesserung der Prävention, Diagnostik, Therapie und Rehabilitation zum Wohl der Betroffenen ist ein angestrebtes Ziel. Dazu arbeiten in der neurologischen Abteilung Fachkräfte eng im universitären neurobiologischen Schwerpunkt mit den neurowissenschaftlichen Fächern des Fachbereichs Humanmedizin und den neurowissenschaftlichen Arbeitsgruppen der Philipps-Universität zusammen.
Zudem legt man Wert auf eine hochqualifizierte Aus-, Fort- und Weiterbildung für alle an der Betreuung von kranken Menschen beteiligten Berufsgruppen. Dazu gehört auch die bestmögliche Anleitung der Studierenden des Fachbereichs Medizin.
Bruno L. bewohnte auf der Station ein Zimmer für sich allein. Dort war er umgeben von unzähligen piepsenden Geräten, die unaufhörlich seine Vitalfunktionen dokumentierten.
Seine Tochter verlegte ihr Studium in die Heimatstadt, um bei ihm zu sein. Der Sohn kam am Wochenende. Auch die Frau und die Geschwister waren oft gesehene Gäste an seinem Bett.
Aber das Gespräch blieb lange einseitig. Auf Berührungen reagierte er, folgte mit seinen halbgeschlossenen Augen den Bewegungen im Zimmer.
Aber er war nur noch eine Hülle seiner zuvor so eindrucksvollen Erscheinung. Er hatte zehn Kilogramm verloren und war erschreckend fahl.
Alle versuchten, das Leben so gut wie möglich wieder aufzunehmen, aber sie steckten zweifelsohne in einer extremen Ausnahmesituation, die an die Grenzen katapultierte. Der regelmäßige Gang zum Krankenhaus ging einher mit der zermürbenden Ungewissheit, ob er noch da war, wie es ihm ging oder ob die Ärzte ein weiteres Mal dazu aufforderten, Abschied zu nehmen.
Jedes Telefon-Klingeln konnte ein drohender, über allen schwebender Schlusspunkt werden. Offen stand das Fragezeichen nach dem Danach im Raum, nach seiner Reaktion auf die Lähmung.
Denn fest stand: Er wird nicht mehr Herr seiner linken Körperhälfte sein. Mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit nie mehr!
Einseitige Lähmungen gehören zu den häufigsten Auswirkungen eines Schlaganfalls. Darüber hinaus sehen sich die Betroffenen oftmals mit Gefühlsstörungen der Arme und Beine, mit Sprach-, Schluck-, Seh- und Gleichgewichtsstörungen sowie Bewusstseins- und Wahrnehmungsstörungen konfrontiert. Als Folge dieser schlagartigen Negativ-Veränderung der Lebensumstände erkrankt mehr als die Hälfte an einer Depression. Um die Folgen des Schlaganfalls zu behandeln, werden die Patienten im Anschluss an ihren Krankenhausaufenthalt direkt in eine Rehabilitationseinrichtung überführt. Dort bereiten sie sich vier bis sechs Wochen lang auf das Leben mit der Behinderung vor und arbeiten an ihrer Gesundung. Die rehabilitativen Maßnahmen erstrecken sich auch auf die Zeit nach der Rehabilitationsklinik, um Genesungsfortschritte zu erhalten und voranzutreiben. Für die Betroffenen und ihre Angehörigen bringt die Erkrankung in jedem Fall weit reichende Belastungen, denn nur circa 40 Prozent der Überlebenden weisen ein Jahr nach dem Schlaganfall keine Einschränkungen in den Aktivitäten des täglichen Lebens mehr auf.
Bruno L. wurde, sobald er wieder bei Bewusstsein war, in das Neurologische Rehabilitationszentrum (NRZ) in Greifswald eingeliefert. Dort trainierte er seine verlorenen, motorischen Fähigkeiten, um größtmögliche Selbständigkeit wieder zu erlangen. Er übte Aktivitäten des täglichen Lebens. Seine kognitiven Funktionen und seine visuelle Wahrnehmung wurde geschult. Im Zuge der logopädischen Therapie erlernte er das Schlucken neu und verbesserte seine sprachlichen Fertigkeiten.
Doch alles ging ihm viel zu schleppend voran. Er war nicht in der Lage, die angebotene Hilfe zur Selbsthilfe vollends motiviert und engagiert anzunehmen, weil sich der Blick in die Zukunft allzu düster vor ihm ausbreitete. All die tröstenden, ermutigenden Worte seiner Familie fanden ihren Abnehmer nicht.
Bruno L. zog sich immer mehr in sich zurück. Er war deprimiert und resigniert. Bei seiner Entlassung konnten nur geringe Fortschritte verzeichnet werden. Zwar konnte er wieder feste Nahrung verzehren und sich fließend artikulieren, aber weder Arm noch Bein funktionierten so gut, als dass an ein eigenständiges Leben zu denken gewesen wäre. So wurde er in ein Pflegeheim verlegt, wo ihn regelmäßig ein Physiotherapeut aufsuchte.
Aber die Ärzte machten ihm nicht viel Hoffnung. Zu groß sei die Blutung, zu alt der Patient, sodass von signifikanten Weiterentwicklungen nicht ausgegangen werden könnte. Das einzig realistische Ziel hieß betreutes Wohnen.
Derzeit werden in Deutschland ungefähr zwei Prozent der Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung beansprucht, um die jährlichen Behandlungs- und Pflegekosten aller erstmaligen Schlaganfälle zu bedienen. Bedingt durch den steigenden Altersdurschnitt der Gesellschaft, kann vermutet werden, dass die Zahl der Schlaganfall-Patienten in den folgenden Jahrzehnten gravierend zunehmen wird. Somit mutiert diese Erkrankung zu einer der bedeutendsten Herausforderungen für das Gesundheitssystem.
Bruno L. konnte sich an sein Leben im Pflegeheim nicht gewöhnen. Zu sehr hatte er seine Unabhängigkeit, sein Auto und seinen Garten geliebt.
Als Hauptbeschäftigung im Bett zu liegen und am Leben nur noch durch Zeitungen, Fernsehen und sein kleines Fenster teilzunehmen, zermürbte ihn. Die Situation machte ihn todunglücklich.
Da konnten selbst die Angehörigen keinerlei Abhilfe schaffen. Er wollte nicht sterben, aber so wollte er auch nicht mehr leben.
Die Entscheidung wurde ihm abgenommen. Ein Jahr nach seinem ersten Schlaganfall ereilten ihn im kurzen Abstand zwei weitere Hirnschläge.
Bruno L. starb im Krankenhaus. Endlich hatte er seinen Frieden gefunden.
Zurechtkommen muss damit nun die Familie. Sie hadert mit seinem Tot und damit, wie mit einem Schlag alles anders wurde.
Kathrin Wollenschläger
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