09.04.2009 (fjh)
Heftige Proteste hat der "6. Internationale Kongress für Psychotherapie und Seelsorge" ausgelöst. Die evangelikale Tagung soll von Mittwoch (20. Mai) bis Sonntag (24. Mai) in Marburg stattfinden. Dabei sollen auch Referenten zu Wort kommen, die Homosexualität als Folge einer therapiebedürftigen Krankheit betrachten.
Bereits am Dienstag (7. April) hatte die Fraktion "Marburger Linke" (ML) einen
Antrag ans Stadtparlament veröffentlicht. Der Magistrat solle die Veranstalter auffordern, bei ihrem Kongress auch Vertreterinnen und Vertreter von Organisationen der Schwulen und Lesben zu Wort kommen zu lassen.
Noch weiter ging ein - nicht näher identifizierbares - Bündnis "Kein Raum für Sexismus, Homophobie und religiösen Fundamentalismus". Diese Gruppierung kündigte Protestaktionen gegen die Tagung an. Außerdem verfasste sie ein Schreiben an die Universitätsleitung und die Stadtverwaltung, in dem Kritik an der Vergabe öffentlicher Räume an die Veranstalter des Kongresses geäußert wurde.
Die rund 1.000 angekündigten Teilnehmer der Tagung sollen im Hörsaalgebäude der
Philipps-Universität, in der gegenüber gelegenen Stadthalle und in der daran angrenzenden Martin-Luther-Schule zusammenkommen. Dort sollen auch die über 120 geplanten Seminare stattfinden. Das Thema des Kongresses lautet: "Identität – der rote Faden in meinem Leben".
"Als Oberbürgermeister der Universitätsstadt sehe ich keine Veranlassung, die Ausrichtung dieses Kongresses in der Marburger Stadthalle zu untersagen", erklärte der SPD-Politiker Egon Vaupel in einer Stellungnahme am Mittwoch (8. April). Zum wissenschaftlichen Diskurs gehöre auch die Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Meinungen.
Zur Kritik, die sich an dem Kongress wegen der Teilnahme von Markus Hoffmann vom Verein "Wüstenstrom" und Christl Ruth Vonholdt vom Deutschen Institut für Jugend und Gesellschaft entzündet hat, sagte Vaupel: "Sollte es zutreffen, dass Herr Hoffmann und Frau Vonholdt Positionen vertreten, die sich gegen homosexuelle Identitäten und Lebensweisen richten, distanziere ich mich. Solche Positionen lehne ich ab."
Das könne für die
Stadt Marburg aber nicht bedeuten, den Mietvertrag für die Stadthalle aufzuheben. Vielmehr gelte es, die Problemstellungen klar zu benennen und für klare Aussagen zu sorgen.
Mit den Worten "Es ist ein Skandal, dass die Stadt Marburg sowie die Universität solchen reaktionären Veranstaltungen und christlichem Fundamentalismus eine Bühne bietet" erteilte Nora Nebenberg vom Bündnis "Kein Raum für Sexismus, Homophobie und religiösen Fundamentalismus" der Veranstaltung eine klare Absage. "Wir fordern Stadt und Uni auf, dem Kongress keinerlei Räume zu Verfügung zu stellen."
Evangelikale sind eine konservative Strömung innerhalb des Protestantismus, die sich durch eine fundamentalistische Bibel-Auslegung, einen Absolutheits- und Missionierungsanspruch auszeichnet und die nach gesellschaftlichem Einfluss strebt. Ein Beispiel dafür ist der Marburger Christus-Treff (CT), dessen wöchentliche Gottesdienste großen Anklang finden.
Roland Werner ist zugleich Leiter des Christus-Treffs und Vorsitzender des Jugendkongresses "Christival". Er referiert bei der umstrittenen Tagung ebenso wie Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz, die gemeinsam mit anderen Referenten im Beirat der "Offensive Junger Christen" (OJC) sitzt. Das vom OJC vorbereitete Seminar "Homosexualität verstehen" wurde auf dem "Christival" 2008 in Bremen aufgrund von öffentlichen Protesten abgesagt. Die beiden Referenten setzen sich für Therapien ein, um Homosexuelle "umzupolen".
Auch der Lesben- und Schwulenverband Deutschland (LSVD) sieht in den Inhalten des Kongresses eine Gefahr für die Rechte von Lesben und Schwulen, wie er in einem offenen Brief an Oberbürgermeister Vaupel, den Universitätspräsidenten Prof. Dr. Volker Nienhaus und den Dekan des Fachbereichs Psychologie, Prof. Dr. Ulrich Wagner, erklärt hat.
Franz-Josef Hanke/pm
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