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Vielfalt mit geringen Auflagen


Kemal Calik stellte türkische Medien vor

01.11.2008 (fjh)
"Türkische Medien" standen am Freitag (31. Oktober) auf dem Programm des Medienforums in der Volkshochschule Marburg (VHS). Auf Einladung des Vereins "Arbeit und Leben" gab der Frankfurter Journalist Kemal Calik einen Überblick über türkische Zeitungen und Zeitschriften sowie türkische Fernsehsender in Deutschland. Außerdem stellte er die Medienlandschaft in der Türkei vor.
Calik ist ehrenamtlicher Geschäftsführer des "Bunds türkischer Journalisten in Europa" (ATGB). Ihm gehören gut 190 Mitglieder an. Die meisten davon residieren in Deutschland und Großbritannien. Es gibt aber auch aktive Mitglieder dieses Verbands in der Türkei.
Im Hauptberuf arbeitet Calik beim Deutschen Fachverlag in Frankfurt. Dort schreibt der gebürtige Türke über Informationstechnik (IT) und Umweltthemen.
Journalisten ausländischer Herkunft gebe es in den deutschen Medien noch viel zu wenige, beklagte Calik. Obwohl der Anteil der Menschen mit Migrations-Hintergrund in Deutschland inzwischen bei 15 Prozent liege, mache er in den Medien kaum 2 Prozent aus.
Bis heute hielten deutsche Medien für diese Bevölkerungsgruppe kaum ansprechende Angebote bereit. Deswegen haben schon in den 70er Jahren die ersten türkischen Zeitungsverlage eigene Ausgaben auf den deutschen Markt gebracht.
Die auflagenstärkste davon ist die Tageszeitung "Hürriyet". Sie wird in Mörfelden-Walldorf bei Frankfurt hergestellt.
Standen anfangs Nachrichten aus der türkischen Heimat im Mittelpunkt ihrer Berichterstattung, so haben Berichte über das Leben türkischer Migrantinnen und Migranten in Deutschland seither immer mehr an Gewicht gewonnen. Hinzu kommen zunehmend auch Artikel über die politischen und sozialen Entwicklungen in Europa.
Die Richtung der "Hürriyet" stufte Calik als "national-liberal" ein. Allerdings seien dort Kommentare von Autoren unterschiedlichster politischer Richtungen zu finden. Lediglich religiös-fundamentalistische Autoren gebe es dort nicht.
Ein zweiter bekannter Titel ist die "Milliyet". Daneben erscheinen in Deutschland unter anderem die Zeitungen "Sabah", "Türkiye", "Zaman" und "Evrensel".
Sie alle besitzen unterschiedliche politische Ausrichtungen. "Es gibt also für jede politische Richtung auch in Deutschland eine türkische Zeitung", resümierte Calik.
Wichtiger als Zeitungen und Zeitschriften sei allerdings auch für die Türken das Fernsehen. In der Türkei gebe es mehr als 100 unterschiedliche Fernsehprogramme. Über Satellit oder Kabel sei zwar nur eine begrenzte Zahl davon in Deutschland zu empfangen, doch werde von den Möglichkeiten rege Gebrauch gemacht.
Neben Deutschland und anderen westeuropäischen Ländern richteten türkische Medien ihr Interesse in jüngster Zeit auch vermehrt auf die einstmals sowjetischen Turk-Republiken im Kaukasus wie Turkmenien, Aserbaidschan und Usbekistan. Hier versuche die Türkei aufgrund gemeinsamer kultureller Traditionen, mehr Einfluss zu gewinnen.
In der Türkei selbst sei die Bedeutung des Fernsehens noch größer als in Westeuropa, berichtete Calik. Alle Zeitungen zusammen erreichen im Land am Bosporus nur eine Auflage von 4,5 Millionen Exemplaren. In der Schweiz liege die Auflage beinahe genauso hoch, erklärte Calik. Dabei hat die Türkei mit 70 Millionen Bürgern fast zehnmal so viele Einwohner wie die Schweiz.
Laut diverser Untersuchungen lesen nur 70.000 Türken regelmäßig Bücher. Vor allem im Osten der Türkei sei die Lese-Kultur noch sehr gering ausgeprägt.
Dementsprechend zeigen türkische Blätter ein sehr buntes Erscheinungsbild. Viele Farbfotos prägen ihr Aussehen. Ein übersichtliches Layout ist nur in den ersten Monaten nach dem Neu-Erscheinen eines Titels üblich.
Während britischer Journalismus sich durch gründliche Recherchen und Analysen auszeichne, dominiere der Kolumnist die türkische Presse, erläuterte Calik. Die jeweiligen Autoren schreiben ihre Kolumne täglich ohne größere Pausen.
Das müsse beinahe zwangsläufig zu einem Mangel an Qualität führen, meinte der Referent. Wer sich nie eine Aus-Zeit nehme, der könne auf Dauer kaum qualifiziert jeden Tag eine Zeitungsspalte füllen.
Inhaltlich gebe es auch in der Türkei für jede politisch Richtung oder jede sonstige Ausrichtung die passende Zeitung.
Auf Platz 5 und auf Platz 7 der Auflagen-Listung rangieren dabei übrigens Sport-Zeitungen. "Die Türken sind ein sehr fußballverrücktes Volk", erklärte Calik, "mehr noch als die Deutschen!"
Problematisch sieht der Journalist die Medienkonzentration in seinem Herkunftsland. Die Dogan-Gruppe und die Calik-Gruppe mit der der Journalist nicht verwandtschaftlich verbunden ist, dominieren den Medienmarkt. Die auflagenstärksten Zeitungen sind "Zaman" mit 676.000 Exemplare hauptsächlich durch - in der Türkei unübliche - Abonnements, die "Posta" mit 644.000, "Hürriyet" mit 534.000, "Sabah" mit 436.000 und "P. Fotomac" mit 289.000 verkauften Exemplaren.
Eingriffe des Staates haben nach Caliks Einschätzung in den letzten Jahren eher abgenommen. Man könne in der Türkei heute fast alles schreiben, meinte er. Beschränkungen setze hier lediglich das Gesetz.
Ein Problem dabei sei der Paragraph 301 des türkischen Strafgesetzbuchs "Verunglimpfung des Türkentums". Häufig werde darüber in Deutschland jedoch sehr verkürzt berichtet. Fälschlicherweise entstehe der Eindruck, die Regierung verfolge systematisch oppositionelle Journalisten und Schriftsteller.
Tatsächlich seien es aber meist reaktionäre Rechtsanwälte, die Strafverfahren nach diesem Paragraphen in Gang setzen. In den meisten Fällen sei es auch nicht zu einer Verurteilung gekommen.
Schlimmer als die Zensur findet Calik die "Schere im Kopf". Viele Journalisten trauten sich nicht, bestimmte Dinge zu schreiben, weil sie um ihre Karriere fürchten. Das sei in Deutschland aber auch nicht viel anders.
Am Ende seines detaillierten und spannenden Vortrags präsentierte Calik den Anwesenden einen Stapel aktueller Ausgaben verschiedener türkischer Zeitungen und Zeitschriften. Gemeinsam mit den Teilnehmern blätterte er darin und erklärte Themen und Ausrichtung der Blätter.
Besonderen Respekt zollte er dabei der Literaturzeitung "Varlik", die seit 75 Jahren regelmäßig erscheint. Zwar liegt ihre Auflage nur bei 3.000 Exemplaren, doch ist sie ein interessanter Kristallisationspunkt der türkischen Kulturszene.
In einer lebhaften Diskussion erkundigten sich Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Medienforums vor allem nach Caliks Einschätzung zur Reichweite der Pressefreiheit. Sein Fazit lautete dabei, dass die bestehenden Möglichkeiten von den Journalisten nicht immer voll ausgeschöpft werden. Vor allem aber in de Bevölkerung würden viele kritische Themen kaum diskutiert.
Franz-Josef Hanke
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