Logo: marburgnewsMobile Marburgnews

Zum Menü

Au, Audiodeskription


Theater bietet Bildbeschreibungen für Blinde an

20.12.2016 (fjh)
"Ich kenne in Hessen kein anderes Theater, das bei
seinen Auffführungen regelmäßig Audiodeskription für Blinde anbietet", erklärte Thorsten Büchner. Gemeinsam mit dem Theaterintendanten Matthias Faltz, Chefdramaturg Franz Burkhard, Direktor Claus Duncker und Lehrerin Monika Saßmannshausen von der Deutschen Blindenstudienanstalt (BliStA) stellte der blinde Pressearbeiter und Schauspieler am Dienstag (20. Dezember) das neueste Vorhaben des Hessischen Landestheaters Marburg der Öffentlichkeit vor. In der Audiodeskription sieht Stadträtin Dr. Kerstin Weinbach "einen schönen Abschluss des Jubiläumsjahrs 100 Jahre BliStA".
Im Fernsehen hat sich die Bildbeschreibung für Blinde auf einem zweiten Tonkanal in den letzten Jahren schon eingebürgert. Bei der Filmförderung ist Audiodeskription Voraussetzung für eine Förderung. Die App "Greta" versorgt blinde Kinobesucher während des Films mit zusätzlichen bildbeschreibungen.
Im Theater jedoch ist Audiodeskription bislang noch nicht so selbstverständlich. Burkhard begründete das mit der Live-Atmosphäre, die einen wesentlich höheren Aufwand verursache als bei Fernsehen und Film. Letztlich muss der sehende Bildbeschreiber in der jeweiligen Aufführung sitzen und das Geschehen in Echt-Zeit in Worte umsetzen.
"Ich kann nicht einfach sagen, dass der Topf umfällt", erklärte er. "Vielleicht fällt er ja erst eine Minute später um und die sehenden Besucher reagieren erst dann."
Anhand der Video-Aufzeichnung der Generalprobe hat Burkhard sich aber schon auf seinen ersten Einsatz als Bildbeschreiber vorbereitet. Am Mittwoch (11. Januar) wird er das Lustspiel "Der eingebildete Kranke" von Moliere akustisch untertiteln.
Blinde Besucher bekommen dann Kopfhörer, über die sie die Stimme des Chefdramaturgen hören. Notwendig dafür ist allerdings, dass sie die Audiodeskription mit der Kartenbestellung vorab anfordern. Zusätzlich erhalten sie eine halbe Stunde vor der Aufführung eine Einführung ins jeweilige Stück, bei der sie auch die Bühne oder bestimmte Requisiten ertasten dürfen.
"Der eingebildete Kranke" beispielsweise wird in üppigen historischen Kostümen auf die Bühne gebracht. Zwei dieser Kostüme dürfen die blinden Besucher beim Vorgespräch dann anfassen.
Mit diesem stück hat Burkhard sich allerdings gleich zu Beginn eine Mammutaufgabe vorgenommen, ist doch das Sprechtempo dabei oft sehr hoch und das Bühnengeschehen gleichzeitig gespickt mit vielen slapstick-Einlagen. Aber der erfahrene Dramaturg traut sich die neue Aufgabe nach intensiver Vorbereitung und vielen Gesprächen mit Saßmannshausen und Büchner durchaus zu. Immerhin hat er bereits vor zehn Jahren in Spanien einmal einen Workshop zum Thema Audiodeskription angeleitet.
Zwei Termine pro Monat möchte das Theater fortan mit Audiodeskription anbieten. Im Programmheft sind sie durch das Logo eines durchgestrichenen Auges gekennzeichnet, das auch die Programmzeitschriften für Audiodeskription im Fernsehen verwenden.
Neben Moliere wird im Januar und Februar ebenfalls auf der "Bühne" am Schwanhof noch Bertolt Brechts Stück "Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui angeboten. Im Frühjahr und Sommer folgen dann "Yvonne, die Burgunderprinzessin" und "Romeo und Julia" im Erwin-Piscator-Haus (EPH) sowie "Luther" auf dem Marktplatz.
Zunächst tritt Burkhard immer als Sprecher an. Er sei aber durchaus offen, andere Kollegen in diese Aufgabe einzuweisen, erklärte er.
In der Audiodeskription sieht Faltz die gegenläufige Richtung von Inklusion wie beim "Theater der Finsternis". Bei diesen Aufführungen ist der gesamte Saal abgedunkelt und alle Besucher werden zu Blinden. Durch die Audiodeskription hingegen werden Blinde mittels der Beschreibungen zu Sehenden.
Dabei ist eine möglichst neutrale Umsetzung des Bühnengeschehens in Sprache wichtig, erklärte Burkhard. "Wir lassen ja auch unsere anderen Besucher ihre eigenen Schlüsse aus dem Gesehenen ziehen", begründete er diese Forderung.
In Marburg mit weit mehr als 800 blinden und hochgradig sehbehinderten Bewohnern ist die neue Initiative von Landestheater und BliStA sicherlich sehr passend. Saßmannshausen wies darauf hin, dass die BliStA ihre entsprechende Technik zwar vorläufig beim Theater lagern, sie durchaus aber auch an andere Veranstalter für Events verleihen will. Zu hoffen bleibt, dass viele betroffene das neue Angebot nun auch rege nutzen.
Franz-Josef Hanke
Text 12073 groß anzeigen

www.marburgnews.de

© 2016 by fjh-Journalistenbüro, D-35037 Marburg