11.12.2016 (fjh)
"Bücher sind Gehilfen und Gehhilfen", sagt Peter Wawerzinek und wundert sich, wieviel doch ein einziges "h" verändern kann. Die Uraufführung des Theaterstücks "Schluckspecht" nach Wawerzineks gleichnamigem Roman beeindruckte am Samstag (10. Dezember) in der "Black Box" des
Hessischen Landestheaters Marburg das Publikum. In der Inszenierung von Simon Meienreis stand neben Victoria Schmidt und Stefan Piskorz auch der Autor selbst mit auf der Bühne.
Zu Beginn steht Wawerzinek direkt vor der ersten Reihe. Den Zuschauern bekennt er seine wahre und einzige Liebe zur "schwarzen Johanna". Dann verschwindet er.
Schmidt übernimmt nun seine Rolle. Sie berichtet von einer Kindheit und Jugend zwischen Eierlikör und Bowle mit Sprüchen wie "Ein Gläschen in Ehren kann niemand verwehren" sowie heimlich vernaschten Früchten vom Rumtopf.
Piskorz teilt sich den text mit ihr. Er berichtet von der Tante, die den Alkholiker aus seiner völlig vergammelten Bude rettet und in den Entzug einweist.
Drastische Schilderungen von verrotteten Lebensmitteln, Erbrochenem, Scherben und nicht mehr gewechseltem Bettzeug veranschaulichen den Grad des Alkoholismus, den der Protagonist schon erreicht hat. Zwischendurch deuten Sprüche des Onkels an, wie das Umfeld das allmähliche Abgleiten eines jungen Menschen in die Alkoholsucht begünstigt hat. Entzug bleibt als einzige Hoffnung auf Rettung, um die sich die mitfühlende Tante rührend sorgt.
Dann taucht Wawerzinek wieder auf der Bühne auf. Den erfolgreichen Entzug feiert er in seiner Stammkneipe. Gemeinsam mit seinen alten saufkumpanen begießt er die neue Freiheit.
Viel Wortwitz und Sprachspielereien machen den Text mitunter zum Genuss. Drastische Beschreibungen wiederum verdeutlichen die nackte Wahrheit des Lebens mit der Sucht. Eindringlich und mitunter poetisch beschreibt Wawerzinek den Alltag zwischen Flasche und Faulheit, der Hilfsbereitschaft der Tante und ihren Grenzen.
Leider merkt man der Inszenierung mitunter an, dass sie nicht auf einen Bühnentext aufbaut. So mangelt es ihr mitunter ein wenig an fesselnder Dramaturgie, während die Sprache manchmal zu ausufernd auf das Publikum einprasselt.
Diese geringe Schwäche glichen die Darsteller jedoch durch Mimik, Gestik und viel Bewegung auf der Bühne aus. Vor allem Schmidt zeigte eindrucksvoll ihr darstellerisches Können. Aber auch Piskorz und Wawerzinekt überzeugten als Schauspieler absolut.
Nach 75 Minuten belohnte das Premierenpublikum alle Beteiligten zu recht mit langanhaltendem Applaus. Zurück blieben viel Nachdenklichkeit und die überzeugend vorgetragene Hoffnung, dass Bücher und Literatur Menschen auch in schwierigen Lebenslagen eine wichtige Gehhilfe sein können, um weiterzukommen. Wawerzinek selbst ist das ja sehr eindrucksvoll gelungen.
Franz-Josef Hanke
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