17.10.2016 (mah)
Über die Freihandelsabkommen CETA und TTIP hat Ministerialrat Hans-Jürgen Blinn im Kulturforum der
Universitätsstadt Marburg informiert. Der Titel seines Vortrags lautete: „Freihandelsabkommen der EU mit Kanada (CETA) und den USA (TTIP) – Gefahren und Chancen für Bildung und Kultur in Deutschland“. Stadträtin Dr. Kerstin Weinbach begrüßte den Referenten aus dem Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Weiterbildung und Kultur der Landesregierung Rheinland-Pfalz sowie rund 70 Interessierte.
Die Stadt Marburg unterstützt nach Beschluss der Stadtverordnetenversammlung im Frühjahr die „Barcelona-Erklärung“ von 40 freihandelskritischen Stadtregierungen. Auch Oberbürgermeister Dr. Thomas Spies kam zur Veranstaltung ins Erwin-Piscator-Haus.
Sollten beide Abkommen in Kraft treten, werde kommunale Kulturförderung in den Verträgen künftig als ein „Handelshemmnis“ eingeordnet, erklärte Blinn. Wie der Ministerialrat zu Beginn erläuterte, wurden bis 1995 nur Warenverkehre in den Handelsabkommen festgeschrieben.
Das änderte sich erstmals mit dem allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen GATT, das auch Dienstleistungen regelte. Deren Anteil am weltweiten Handel liege inzwischen bei 70 Prozent. Auch Angebote in Kultur und Bildung zählen zu Dienstleistungen. So sei dieser Bereich bereits seit rund 20 Jahren für alle Anbieter offen.
CETA sowie TTIP, bei dem die Verhandlungen auf Kommissionsebene ohne Einbindung von Landesregierungen hinter verschlossenen Türen liefen, sollten nun im Sinne freien Handels so genannte „Hemmnisse“ abbauen. Blinn kritisierte insbesondere die TTIP-Verhandlungen als undemokratisch.
Als Handelshemmnisse sollten jedoch zukünftig gelten, was eigentlich Errungenschaften seien, verdeutlichte der Referent. Dazu gehörten zum Beispiel Arbeitnehmerschutz, Gewerkschaften, öffentlicher Verkehr oder die Förderung von Anbietern in Kultur und Bildung auf nationaler oder kommunaler Ebene. „Freier Markt ist mit sozialer Marktwirtschaft nicht kompatibel“, betonte Blinn. „Die Daseinsvorsorge muss in den Verträgen geregelt werden“, forderte er.
Habe bisher für Waren gegolten, dass inländische vor ausländischen, privaten Anbietern nicht bevorteilt werden dürften, solle dies im Sinne der Abkommen zukünftig etwa auch für die Bildung gelten.
„Das lässt das Solidaritätsprinzip außer Acht“, kritisierte Blinn. So gelte zwar der Bachelor im Sinne des geplanten Freihandels noch als Grundbildung. Würden den Master aber neben öffentlichen Universitäten auch private Einrichtungen anbieten, könne aufgrund der vorgesehenen Freihandelsabkommen die Forderung gestellt werden, dort Gebühren zu erheben oder den Studiengang abzuschaffen.
Beim GATT-Vertrag habe noch eine Positivliste gegolten, die aufführt, was auf dem Markt der Liberalisierung unterliegt. Nun würden laut Blinn mit CETA und TTIP Negativlisten gelten. „Dann müssen Ausnahmen erst benannt werden, das ist viel schwieriger“, erklärte er.
Er verglich das Verfahren mit einem Einkaufszettel, auf dem nicht steht, was man kaufen will, sondern nur, was nicht. So hätten die Mitgliedstaaten der Europäischen Union zwar immer noch die Möglichkeit, mit Gesetzen oder Verordnungen regulierend einzugreifen, aber nur, wenn dies im Sinne der Freihandelsabkommen sei. „Da wird enormer Druck aufgebaut“, machte Blinn zu den Abkommen deutlich.
Er sei nicht gegen Freihandelsabkommen generell, wohl aber gegen die derzeitigen Texte, sagte Blinn abschließend. Denn diese Texte räumten dem Markt unter anderem zu starken Vorrang gegenüber staatlichem Handeln ein, schränkten Möglichkeiten der politischen Gestaltung ein. Außerdem gingen die Abkommen zu Lasten der Steuerzahler, weil das Recht auf Klage trotz des Rechtes auf Regulierung Gesetze verhindern könne und zu Schadensersatzansprüchen führen können.
Bereits vor dem Vortrag fand im Kulturforum eine öffentliche Führung durch das Erwin-Piscator-Haus statt. Im Anschluss folgten Kurzberichte zur Perspektive des Lokschuppens im Waggonhallen-Areal, zur Haushaltsentwicklung und zum Kulturhaushalt sowie zu den Planungen des Reformationsjahres 2017. Ein Auftritt der Hip-Hop-Gruppe „Funky Harlekins“ rundete die Veranstaltung ab.
Im Marburger Kulturforum kommen auf Einladung der Stadt vierteljährlich die unterschiedlichsten Vertretenden der Marburger Kultur sowie Entscheidungsträger zusammen, um über Schwerpunktthemen gemeinsam zu diskutieren.
pm: Stadt Marburg
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