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In die Falle gegangen


Schmidt berichtete aus brennendem Haus in Lichtenhagen

28.09.2016 (mah)
"Arsch huh, Zäng ussenander" ist die Antwort des Journalisten Jochen Schmidt auf die Frage, was man als Bürger gegen den Rechtsruck in Europa tun kann. Schmidt hielt am Dienstag (27. September) in der Synagoge einen Vortrag mit dem Titel "Das Haus brennt! Die Asyldebatte und ihre Parallelen 1992 und heute".
Zu Beginn führte Schmidt einen 20-minütigen ZDF-Beitrag aus dem Jahr 1992 vor. In dem Bericht wird dokumentiert, wie Schmidt mit seinen damaligen Kollegen der Redaktion "Kennzeichen D" in einem - von Vietnamesen bewohnten - Haus in Rostock-Lichtenhagen angegriffen wurde. Das Team führte am Abend des 24. August 1992 im Nachbarhaus des "Sonnenblumenhaus", das damals als Zentrale Aufnahmestelle für Asylbewerber fungierte, Interviews mit vietnamesischen Bewohnern. Aus einer demonstrierenden Menge heraus wurde das Haus von Rechtsextremisten mit Molotowcocktails in Brand gesetzt und gestürmt.
In blanker Panik versuchten die etwa 120 Vietnamesen zusammen mit den Journalisten, über das Dach ins Nachbarhaus zu fliehen, was schließlich auch gelang.
Der Polizeinotruf 110 war während der bedrohlichen zwei Stunden durchgängig besetzt. Auch von der Feuerwehr erhielten die Belagerten keine Unterstützung. Bis heute wurde niemand von den zuständigen Behörden für dieses Fehlverhalten zur Verantwortung gezogen. Auch Angreifer aus der Neonazi-Szene erhielten nur geringe Bewährungsstrafen.
Im Anschluss an den Film beschrieb Schmidt die Reaktionen von Politikern auf die Pogromnacht. Auffällig häufig wurden "die Asylanten" für die Tat verantwortlich gemacht.
So sagte der damalige Ministerpräsident Berndt Seite: „Die Vorfälle der vergangenen Tage machen deutlich, daß eine Ergänzung des Asylrechts dringend erforderlich ist, weil die Bevölkerung durch den ungebremsten Zustrom von Asylanten überfordert wird.“ Kurze Zeit später erklärte der damalige Landesjustizminister Herbert Helmrich: "Wir brauchen eine neue Mauer, denn was uns überschwemmen wird, geht bis in die Türkei.“
Diese Aussagen machen in Schmidts Augen eine klare Parallele zur heutigen Situation deutlich. Wasser-Metaphorik wie "Flüchtlingswelle", "überschwemmen" und "eindämmen" wird auch heute häufig verwendet. Der Bürger soll vor seinem geistigen Auge eine riesige "Welle" sehen, die Deutschland "überschwemmen" wird. Die daraus entstehende Angst ist die größte Triebkraft rechter Parteien.
Dass Sprache als Waffe eingesetzt werden kann, zeigen aktuelle Beispiele, die Schmidt vortrug. Der Versuch der AfD-Bundesvorsitzenden Frauke Petry, den Begriff "völkisch" wieder positiv zu konnotieren, soll den öffentlichen Diskurs weiter an den rechten Rand verschieben. Ein Tweet der CDU-Politikerin Bettina Kudla, in dem sie den Begriff "Umvolkung" verwandte, belegt mit der Ernte von rund 750 zusätzlichen Followern, dass die Strategie der Rechtspopulisten Wirkung zeigt.
In der Diskussion äußerten Anwesende ihre Sorge über die zunehmende Gewöhnung an rassistische Straftaten und rechtsradikale Äußerungen. Schmidt forderte dazu auf, derartigen Entwicklungen nicht wort- und tatenlos zuzusehen. Auch die Medien trügen hier eine besondere Verantwortung.
"Vor einem Jahr hätte ich noch gesagt: Geschichte wiederholt sich nicht. Jetzt bin ich mir da nicht mehr so sicher", bemerkte Schmidt zum Abschluss.
Dem bleibt nur noch die Antwort von Karl Marx auf eine Aussage von Friedrich Hegel zur Wiederholung der Geschichte hinzuzufügen: "Das eine mal als Tragödie, das andere Mal als Farce".
Marco Heinrich
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