17.09.2016 (mah)
Mit der sogenannten "Flüchtlingskrise" setzt sich auch das Theater als stetige kritische Instanz auseinander. Spätestens seit dem Jahr 2015 ist das Thema Rassismus wieder in aller Munde. Es scheint so, als ob rechtes Gedankengut, das davor nur in den Hinterköpfen vieler Leute schlummerte, nun wieder im großen Ausmaß zutage tritt.
Der von der Ankunft vieler Hilfesuchender ausgelöste Rechtsruck, der durch Europa geht, schlägt sich auch in den Wahlergebnissen wider. Rechtspopulistische Parteien in ganz Europa bekommen seither Aufwind.
Faschismus und Rassismus sind auch Thema des Stücks "Furcht und Ekel - das Privatleben glücklicher Leute" von Dirk Laucke. Im
Hessischen Landestheater Marburg feierte es am Samstag (10. September) Premiere.
In dem 2014 uraufgeführten Stück kombiniert der Autor eine von Bertolt Brecht erstellte Sammlung von Zeitungsberichten und Zeugenbeobachtungen aus Nazi-Deutschland - die später den Titel "Furcht und Elend" erhielt - mit einer auf westdeutsche Verhältnisse adaptierten Version mit dem Titel "Furcht und Hoffnung der BRD" des Dramatikers Franz Xaver Krötz. Die von den beiden Vorgängern inspirierte Version Lauckes setzt sich aus verschiedenen - teils zusammenhängenden, teils einzelnen - Erzählsträngen zusammen, die auf Augenzeugenberichten und Zeitungsnotizen aus den Jahren 2007 bis 2013 beruhen.
Entsprechend ist das Stück ein ziemliches Durcheinander. Ruhige Szenen enden abrupt und werden von lauten, schnellen Szenen abgelöst und umgekehrt.
Die Bühne und das Publikum sind umringt von einem Stacheldrahtzaun, was den Zuschauer stark an das Stück fesselt. Auch Musik spielt dabei eine große Rolle.
Immer wieder verwandelt sich das Schauspiel in ein Musical, indem die von Jan Preißler selbstgeschriebenen Rocklieder in hoher Lautstärke aufgeführt werden. Dabei spielt der Musiker mit den Genres, da nicht klar wird, ob es sich bei den Liedern um linken Punk-Rock oder um Rechtsrock handelt. Die beiden Genres ähneln sich mehr, als es manchen Hörern wohl lieb ist.
Derweil werden verschiedene Erzählstränge dargestellt. Danny, Rille und Micha - gespielt von Maximilian Heckmann, Stefan Piskorz und Daniel Sempf – sind drei Ostdeutsche, die offensichtlich nicht die beste Bildung genießen konnten. Sie üben auf perfide Weise Selbstjustiz aus und schrecken dabei vor nichts zurück.
Annette Müller spielt eine Journalistin, die über das Schicksal der Sinti und Roma berichtet. Alles wird umspannt von einer vom Bademeister Leon – gespielt von Jürgen Helmut Keuchel – erzählten Geschichte eines israelischen Autors, die von dem Bademeister und einem kleinen Mädchen handelt, das ihre Eltern sucht.
Alle Erzählungsstränge haben eines gemeinsam: Sie handeln von rechtem Gedankengut in allen gesellschaftlichen Schichten und Milieus.
In Brechtscher Manier wird das Stück immer wieder "unterbrochen", um einer Analyse des kritischen Theaters Platz zu schaffen. Es wird diskutiert, inwiefern das Theater tatsächlich ein Spiegel der Gesellschaft sein kann und wo der Einfluss des Theaters beginnt und endet.
Zusammenfassend ist "Furcht und Ekel" von Regisseurin Fanny Brunner gut umgesetzt worden. Die Schauspieler überzeugen durch ihren enthusiastischen Einsatz und lösen beim Zuschauer eine ganze Reihe von Emotionen aus, sodass nach dem Ende des Stücks noch eine Menge Diskussionsbedarf bestehen könnte.
Marco Heinrich
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