28.05.2016 (fjh)
Während die letzten Besucher ihre Plätze auf dem Marktplatz einnehmen, fechten auf der Bühne vor dem Rathaus zwei Schauspieler miteinander. Dann schlägt die Turmuhr, und der Rathausgockel trompetet achtmal. Die Freilichtaufführung des
Hessischen Landestheaters Marburg beginnt.
Die romantische Komödie "Cyrano de Bergerac" von Edmond Rostand feierte am Freitag (27. Mai) Premiere. Knapp zwei Stunden lang bot die Inszenierung von Jens Kerbel spannende und zugleich witzige Unterhaltung mit Tiefsinn und eindrucksvollen Fechtszenen.
Cyrano de Bergerac dient im Regiment der Gascogner Kadetten. Wegen seiner langen Nase wird er häufig verspottet. Doch im Zweikampf besiegt der hässliche Haudegen alle, die ihn beleidigen.
Dabei reimt er während des Kampfes, wobei Witz und Wortgewalt einander in nichts nachstehen. Auch sonst ist Cyrano ein herausragender Dichter.
Verliebt ist Cyrano in seine blonde Cousine Roxane. Doch sie gesteht ihm ihre Liebe zu dem hübschen Kadetten Christian von Neuvillette und bittet ihn, den jungen Mann unter seinen Schutz zu stellen.
Da Christian aber nicht besonders wortgewandt ist, übernimmt Cyrano das für ihn: Er formuliert Christians Ansprachen an Roxane und schreibt dessen Liebesbriefe an sie. Schließlich verhilft er dem jungen Kadetten sogar zur Heirat mit ihr.
Schon seit Längerem buhlt auch der Graf De Guiche um Roxanes Gunst. Als er bei ihr abblitzt, schickt er das Gascogner-Regiment an die vorderste Kampflinie im Krieg gegen Spanien.
Trotz der Belagerung gelingt es Cyrano, täglich zwei Liebesbriefe an Roxane durch die feindlichen Linien hindurchzuschmuggeln. Diese Briefe wiederum bewegen die junge Frau dermaßen, dass sie durch die Kampflinien hindurch zu ihrem Geliebten kommt. Zunächst habe sie Christian für sein Äußeres geliebt, doch nun liebe sie seine Seele viel mehr und würde ihn auch lieben, wenn er hässlich wäre, erklärt sie.
Bevor Christian oder Cyrano ihr aber die Wahrheit sagen können, fällt Christian im Kampf. Cyrano traut sich nicht, den Verstorbenen zu blamieren und schweigt fortan über den wahren Urheber der Liebesbriefe.
Roxane geht ins Kloster, wo Cyrano sie häufig besucht. Mit seinem Witz und seinem Charme muntert er die trauernde Witwe wie auch alle anderen Nonnen dort auf. Erst bei seinem Tod gesteht er der Geliebten alles.
Bekannt geworden ist das 1897 veröffentlichte Theaterstück vor allem durch eine Verfilmung mit Gérard Depardieu in der Titelrolle. Mit ihm konnte Daniel Sempf es in der Marburger Inszenierung durchaus aufnehmen. Auch Victoria Schmidt als Roxane, Michael Köckritz als eitler und intriganter De Guiche und Maximilian Heckmann als Christian von Neuvillette sowie Ogün Derendeli und Jürgen Helmut Keuchel in jeweils mehreren Rollen überzeugten am Premierenabend das Publikum.
Gelungen ist dem Hessischen Landestheater mit seiner Freilichtinszenierung eine witzige und kurzweilige Darbietung eines Stoffs, der zum Nachdenken anregt: Sind Äußerlichkeiten wichtiger als Geist und Charakter? Beweist sich Liebe nicht erst in Taten und im Alltag?
Langanhaltender Applaus des Premierenpublikums auf dem Marktplatz und begeisterte Pfiffe für Sempf als Cyrano belegen die Zufriedenhait der Zuschauer mit der Darbietung. Wieder einmal zeigt das Hessische Landestheater damit, dass kurzweilige Unterhaltung und inhaltliches Niveau kein Widerspruch sein müssen.
Franz-Josef Hanke
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