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Vorsicht, Atomkraft


Erinnerungen 30 Jahre nach Tschernobyl

26.04.2016 (fjh)
Tschernobyl ist heute das Synonym für den "Größten anzunehmenden Unfall" (GAU) in einem Atomkraftwerk. Am 26. April 1986 fand im Block 4 des Atomkraftwerks in der Ukraine der bis heute noch nicht wirklich beherrschte Atomunfall statt.
eim Atomkraftwerk Forsmark in Schweden war am 28. April 1986 ein Alarm ausgelöst worden. Die erhöhte Radioaktivität ging offenbar aber nicht auf einen technischen Defekt in dieser Anlage zurück, sondern auf Strahlung, die eine Wolke aus dem Osten dorthin geweht hatte.
Erst am Dienstag (29. April) wurde bekannt, dass eine Havarie im Atomkraftwerk Tschernobyl stattgefunden hatte. Erste Luftbilder des beschädigten Reaktors zeigte die Tagesschau dann am Mittwoch (30. April). In den darauffolgenden Tagen nahm der Vorfall immer dramatischere Auswirkungen an.
Cäsium 137 war der Stoff, aus dem die Alpträume sind. Vor allem dieses Isotop wurde überall in Deutschland in gefährlich hoher Konzentration nachgewiesen. Aber auch andere Zerfallsprodukte aus der nuklear verseuchten Wollke waren überall in der Natur nachweisbar.
In Marburg hatte der Allgemeine Studierendenausschuss (AStA) einen Geigerzähler besorgt. Besorgt gingen Studierende der Physik damit umher und kennzeichneten alle Stellen, wo die gemessenen Werte die erlaubten Grenzwerte überschritten. Bald prangte das gelbe Symbol für Radioaktivität auf den Tischen vor der Mensa, auf den Bänken am Marktplatz und vielerorts auf dem Straßenpflaster.
Völlig überfüllt war wenige Tage später das Auditorium Maximum (AudiMax) der Philipps-Universität. Vor über 1.000 Interessierten referierten die Professoren Horst Kuni und Hans Ackermann über Atomenergie und trugen ihre Einschätzung der Folgen des Reaktorunfalls von Tschernobyl vor. Weitere Veranstaltungen der beiden sowie mehrere Demonstrationen folgten in den anschließenden wochen.
Milch war besonders belastet. Deshalb wurde stillenden Müttern geraten, Milchpulver zu füttern statt selber zu stillen.
Ein engagierter Marburger kaufte für 1 Million DM Trockenmilchpulver ein, das bereits vor der Atomkatastrophe verpackt worden war. Es fand reißenden absatz. Die zweite Lieferung blieb dann später allerdings in seiner Garage liegen.
Unsicherheit und Wut waren vorherrschende Regungen. Besorgte Mütter ängstigten sich um die Ernährung ihrer Kinder. wer zuvor gesund leben wollte und deshalb vorwiegend frisches Gemüse gekauft hatte, stieg jetzt lieber auf Dosenprodukte um.
Eilig versuchten sowjetische Behörden, den Brand in Tschernobyl zu löschen. Über dem havarierten Reaktor errichteten sie den sogenannten "Sarkophag" als möglichst dichte Schutzhülle. Diese Hülle hält jedoch der gigantischen Belastung nicht dauerhaft stand und soll demnächst einen weiteren Außenmantel erhalten.
Lange noch blieb die Anti-Atom-Bewegung in Bewegung. Tschernobyl wurde zum Inbegriff der Gefahren einer nicht beherrschbaren Atomtechnologie.
Deren Befürworter allerdings beteuerten weiterhin, deutsche Kernkraftwerke seien sicher. Russische Reaktoren verfügten demgegenüber nur über weniger entwickelte Sicherheitssysteme und veraltete Technik.
Am 11. März 2011 wurde diese Behauptung gründlich ad Absurdum geführt: Im japanichen Fukushima explodierte erneut ein Atomkraftwerk. Wieder wurde ein ganzer Landstrich verstrahlt.
Wieder gingen in Marburg Tausende auf die Straße. Diesmal blieb die Forderung "Abschalten!" nicht ohne Folgen. Dennoch laufen in Deutschland immer noch Atomkraftwerke; und ein sicheres Endlager für radioaktiven Müll ist noch nicht gefunden.
Belgien und Frankreich sind immer noch nicht von der Strahlenkrankheit geheilt. Marode Reaktoren stehen nahe der deutschen Grenze und bedrohen die Bevölkerung hier, zumal der vorherrschende Westwind im Fall einer Katastrophe kaum längere Reaktionszeiten zu ihrem Schutz zulässt.
Eine ernsthafte Aufklärung über das genaue Ausmaß der Folgen der Atomunfälle von "Three Mile Island" bei Harrisburg, Tschernobyl und Fukushima wird der Öffentlichkeit immer noch systematisch vorenthalten. Zahlen über Todesfälle und Krankheiten werden gezielt heruntergerechnet. Atomenergie wird immer noch heimtückisch verharmlost.
Franz-Josef Hanke
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