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Die gekaufte Stadt


Buch über Marburg auf dem Weg zur Pohl-City

25.02.2016 (fjh)
Die Gefahr einer "Refeudalisierung" der gesellschaftlichen Verhältnisse in Marburg sieht Prof. Dr. Frank Deppe im Einfluss der Familie Pohl auf die Kommunalpolitik. Gemeinsam mit Dr. Jürgen Nordmann und Jan Schalauske stellte er am Mittwoch (24. Februar) im Technologie- und Tagungszentrum (TTZ) das neue Buch "Die gekaufte Stadt? Der Fall Marburg: Auf dem Weg zur Pohl-City?" vor.
Deppe skizzierte das Geschäftsmodell der Deutschen Vermögensberatung (DVAG). Mit nur 89 Festangestellten und etwa 37.000 - teilweise nebenamtlich tätigen - Freien Vermögensberatern erziele das Unternehmen Milliardenumsätze. Seinen Gründer Dr. Reinfried Pohl darf man nach einem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts ungestraft als "Chef der größten Drückerkolonne Deutschlands" bezeichnen.
Wer neue Berater anwirbt, steigt in der Pyramide auf. Doch es gebe auch Verlierer in diesem "Pyramidensystem", da Geld an die Berater nur nach Abschluss von Verträgen mit Kunden fließt.
Insbesondere die Riester-Rente habe Pohl und seine DVAG reich gemacht. Aber auch bei der Wiedervereinigung hätten sie profitable Geschäfte gemacht.
Kein anderes Unternehmen in Deutschland vereine so viele CDU-Spitzenpolitiker in seinen Gremien wie die DVAG. Insbesondere der einstige Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl und sein Kanzleramtsminister Friedrich Bohl nahmen jahrelang führende Positionen bei der DVAG wahr.
Nordmann beschrieb den Personenkult rund um den - am 12. Juni 2014 verstorbenen - Firmengründer. Sein Mäzenatentum lasse ihn in der Öffentlichkeit als edlen Wohltäter in einem sehr milden Licht erscheinen. Das firmeneigene Museum an der Anneliese-Pohl-Allee setze ihm geradezu einen Heiligenschein auf.
Seine "Männerfreundschaft" mit Kohl sowie seine Freundschaften mit dem Fußballtrainer Otto Rehagel und dem Rennfahrer Michael Schumacher erklärte er mit einer ähnlich gelagerten Sozialisation: Sie alle hätten sich aus "kleinen Verhältnissen" emporgearbeitet. Für Rehagels 1. FC Kaiserslautern und für Schumacher trat die DVAG zeitweilig als Sponsor auf.
Schalauske schließlich beleuchtete die Rolle der DVAG bei der Neugestaltung des Marburger Nordviertels. Im Zuge einer umfassenden Sanierung der Bausubstanz finde dort eine "Gentrifizierung" statt, die die Mieten immer höher schraube und ärmere Bewohner dadurch aus der Nordstadt verdränge.
Pohls Spende von 4 Millionen Euro an die Stadt wolle zwar auch Die Linke annehmen; eine Zweckbindung wolle seine Partei dabei aber nicht akzeptieren. Lieber sei ihm eine höhere Gewerbesteuer, die dieses Geld ohne den Druck zu Dankbarkeitsbezeugungen ins Stadtsäckel spüle.
Ohnehin hält er Pohls Privatvermögen von mehr als 3 Milliarden Euro für skandalös, weil ihm gesellschaftliche Armut auf der anderen Seite gegenüberstehe. Alle drei Buchautoren betonten, dass der Einfluss milliardenschwerer Oligarchen auf die Politik durch eine höhere Steuerprogression und eine Vermögenssteuer zurückgedrängt werden müsse.
In der Publikumsrunde wurde auch auf die Gentrifizierung im Südviertel hingewiesen. Anwesende schlugen vor, über Katasterauszüge den Grundbesitz von Immobilienfonds, der DVAG oder des Investors S&S im Marburger Stadtgebiet umfassend zu erheben.
Hingewiesen wurde im Publikum aber auch auf Pohls segensreiches Wirken für Krebskranke und seine menschliche Wärme. Ausdrücklich betonten Deppe und Schalauske, dass es nicht in erster Linie um eine Kritik an der Person des Verstorbenen gehe, sondern um die politischen Rahmenbedingungen, die ihm einen übergroßen Einfluss auf politische Entscheidungen wegen seines gigantischen Reichtums ermöglichten.
Das Buch "Die gekaufte Stadt? Der Fall Marburg: Auf dem Weg zur Pohl-City?" ist im VSA-Verlag erschienen. Eine Ausstellung über Pohls Freundschaft zu "Schumi" ist in der DVAG-Zentrale zu bewundern, wo auch Rennwagen des Rekord-Weltmeisters stehen.
Franz-Josef Hanke
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