09.02.2016 (fjh)
"Vor einem Jahr hätte ich noch geglaubt, so was könnte nie wieder geschehen", sagte Jochen Schmidt aufgewühlt. Der Marburger Fernsehjournalist berichtete am Montag (8. Februar) im Hörsaalgebäude der
Philipps-Universität über seine Erlebnisse in einer brennenden Unterkunft für vietnamesische Fremdarbeiter in Rostock-Lichtenhagen. Sein Vortrag unter dem Titel "Das Haus brennt - Parallelen der Asyldebatte 1992 und heute" fand im Rahmen der Ringvorlesung "Konflikte in Gegenwart und Zukunft – Flucht, Zwangsmigration, Asyl" statt.
Erschreckend und berührend war Schmidts Bericht. Mit einem Fernsehteam der ZDF-Redaktion "Kennzeichen D" war er 1992 nach Rostock gefahren, um über fremdenfeindliche Ausschreitungen zu berichten. Am vorangegangenen Wochenende hatte es in einer Rostocker Plattenbausiedlung Übergriffe auf die dortige Unterkunft für Asylbewerber gegeben. Für den darauffolgenden Montag hatten Rechte "eine heiße Nacht" angekündigt.
"Es war ein Anschlag mit Ansage", stellte Schmidt fest. Die Asylbewerberunterkunft hatten die Behörden deshalb geräumt. Der Zorn der Rassisten richtete sich nun gegen das unmittelbar benachbarte Wohnheim für ehemalige vietnamesische Fremdarbeiter.
Schmidt präsentierte den Anwesenden den Film, den das Team unter seiner Beteiligung 1992 im
Zweiten Deutschen Fernsehen (ZDF) gezeigt hatte. Beängstigend stellte der Fernsehbeitrag dar, wie die Behörden die Bewohner der Unterkunft mit dem rassistischen Mob allein ließen.
Unter dem Beifall von Anwohnern flogen Brandsätze auf das Haus. Angreifer drangen ins unterste Stockwerk ein. Die verängstigten Bewohner flüchteten in höhere Etagen.
Rauch stieg das Treppenhaus hinauf. Der Ausländerbeauftragte der Stadt Rostock, der bei den Vietnamesen im Haus war, rief mehrmals vergeblich bei Polizei und Feuerwehr an. Sensationsgierige Fernsehsender zeigten das Geschehen derweil life auf ihren Kanälen.
Immer höher hinauf stiegen die Angreifer und der Rauch. Immer bedrohlicher wurde die Situation im Haus.
Todesangst hatten diejenigen, die dort schutzlos den rassistischen Brandstiftern ausgesetzt waren. Im Haus befand sich auch das Fernsehteam des ZDF.
"Wir haben diese Angst einmal durchmachen müssen", sagte ein Kollege von Schmidt in dem Fernsehbeitrag. "Die Bewohner hier erleben sie täglich."
Nach der Vorführung des beeindruckenden Beitrags berichtete Schmidt von der weiteren Entwicklung. Alle Verantwortlichen hätten sich "weggeduckt", berichtete er. Doch gebe es Hinweise darauf, dass Lichtenhagen "gut ins Konzept zur Verschärfung der Asylpolitik gepasst" habe.
Kurz nach dem Brandanschlag auf die Unterkunft in Lichtenhagen habe die SPD dem "Asylkompromiss" zugestimmt. Er sah eine Einschränkung des Asylrechts im Grundgesetz vor. Eingefügt wurde dabei die Regelung, dass niemand ein Asylrecht genießt, der aus "sicheren Drittstaaten" kommt.
Die Parallelen zu aktuellen Vorgängen konnte Schmidt anschließend leicht verdeutlichen. Wieder gehe es darum, das Asylrecht zu verschärfen; und erneut knicke die SPD vor rassistischer Hetze und ständigen Forderungen nach Verschärfung der Rechtslage ein.
Auf die Frage, was man gegen diese Entwicklung tun könne, antwortete Schmidt mit dem - am Rosenmontag wohl passenden - rheinischen Idiom seiner Herkunftsregion im Bergischen Land: "Arsch huh, Zäng usenander!" Unter diesem Motto veranstalten bekannte Musiker und Karnevalisten - wegen rechter Aufmärsche inzwischen leider fast regelmäßig - in Köln große Protestdemonstrationen gegen Neofaschismus und rechte Gewalt.
Franz-Josef Hanke
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