19.12.2015 (fjh)
Marburger Künstlerinnen sind Thema der neuesten Stadtschrift. Mit ihnen ein Stück Marburger Kulturgeschichte vor dem Vergessen zu retten, ist das Ziel all derer, die die Stadtschrift "Das andere Leben - Rückblick auf Marburger Künstlerinnen" erarbeitet haben. den 376 Seiten starken Band 105 des Rathaus-Verlags hat Oberbürgermeister Dr. Thomas Spies am Freitag (18. Dezember) zusammen mit Herausgeberin Dr. Irene Ewinkel und Autorinnen und Autoren vorgestellt.
Die Stadtschrift "Das andere Leben - Rückblick auf Marburger Künstlerinnen" umfasst 376 Seiten mit vielen teilweise farbigen Abbildungen. Sie erscheint im Rathaus-Verlag und kostet 16,80 Euro. Erhältlich ist sie im Rathaus sowie im Buchhandel unter der ISBN 978-3-942487-06-1 oder über das Internet auf
www.marburg.de.
"Blickt man zurück, so scheint es, als gibt es sehr viele Künstler und eigenartigerweise viel weniger Künstlerinnen", erklärte Oberbürgermeister Spies. "Auch in der bildenden Kunst kennen wir historisch viele Beispiele, in denen Künstlerinnen keine Rolle spielten oder spätestens mit der Eheschließung keine Kunst mehr machten."
Das sei mehr als bedauerlich, da Künstlerinnen mit gleichem Recht und gleicher Relevanz Kunst geschaffen haben, sagte das Stadtoberhaupt. "Wenn man einen Blick in das Buch hineinwirft und das ein oder andere Werk betrachtet, wird man an auch an mancher Stelle einen anderen Blick auf die Welt und das, was sich anschließend in der künstlerischen Interpretation wiederfindet, gewinnen, und erkennen, dass wir uns damit historisch eines Teils des Reichtums der Kunst beraubt haben", betonte Spies.
Umso verdienstvoller sei es, dass nun ein Buch präsentiert werde, das einen Rückblick auf Marburger Künstlerinnen wirft. "Die neue Stadtschrift macht eindrucksvoll deutlich, was Künstlerinnen in Marburg tatsächlich geschaffen haben und welche Rolle sie spielten, und sichert so dieses wertvolle Wissen", freute sich Spies und dankte allen daran Beteiligten.
Entstanden ist die Stadtschrift auf Initiative der Vorsitzenden der Gleichstellungskommission Dr. Marlis Sewering-Wollanek. Drei Jahre lang recherchierten Mitglieder eines Arbeitskreises die Biographien der Künstlerinnen, die im ausgehenden 19. und 20. Jahrhundert in Marburg lebten und arbeiteten.
Manche von ihnen haben heute noch bekannte Namen; manche sind gänzlich aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwunden. Entsprechend schwierig war die Suche nach Quellen und Bildmaterial. Viele Informationen und Bilder wurden von Bürgerinnen und Bürgern zur Verfügung gestellt.
Das Ergebnis sind 35 reich illustrierte Künstlerinnenbiographien. Je nach Materiallage sind sie sehr ausführlich oder eher knapp gehalten.
Viele ganz unterschiedliche Lebensläufe beinhaltet die neue Stadtschrift. Viele Entdeckungen sind zu machen, viele Kunstwerke ganz unterschiedlicher Stilrichtungen zu bewundern. Nicht wenige zeigen Motive aus Marburg und Umgebung.
In ihrem Vorwort macht die Herausgeberin Dr. Irene Ewinkel deutlich, dass der Lebensentwurf, den die Künstlerinnen hatten, ein anderer als der von der Gesellschaftvorgezeichnete für Frauen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts war. Entsprechend schwer war es vor allem im 19. Jahrhundert, als Frau überhaupt als Künstlerin zu arbeiten.
Schließlich konnten bürgerliche Frauen nur wenige Berufe ergreifen. Sie durften nicht studieren und sollten ihrer "Bestimmung" zur Ehefrau und Mutter folgen.
Viele Akademien nahmen Frauen bis ins 20. Jahrhundert hinein nicht auf. Wenn sie später gegen alle Widerstände doch als Künstlerin arbeiteten, wurden sie nicht ernst genommen und diskriminiert. Bei vielen Frauen, die in der Stadtschrift vorgestellt werden, endete ihre künstlerische Tätigkeit denn auch mit ihrer Eheschließung.
Die Stadtschrift betrachtet zwei Zeitabschnitte: Den Zeitraum 19. Jahrhundert bis 1945 beleuchtet sie ebenso wie die Zeit ab 1945.
Ausführlichi behandelt sie dabei die Fragen: Welche Ausbildungs- und Lebensbedingungen hatten Künstlerinnen damals in Marburg? Vor welchem gesellschaftlichen Hintergrund müssen ihre Biographien gelesen werden?
In Marburg gab es um 1900 zwar ein reges kulturelles Leben, aber wenig Ausstellungsmöglichkeiten. Bei der Eröffnung eines Kunstsalons 1904 war unter 130 hessischen Malern, die ihre Werke vorstellten, keine einzige Frau.
Ausbildungsmöglichkeiten gab es jenseits des Unterrichts bei einem Künstler auch nicht. Künstler hielten oft nicht viel von ihren Schülerinnen. Otto Ubbelohde sprach beispielsweise abfällig von "Malweibern".
Auch später, als es mehr Möglichkeiten zur Ausbildung gab, war es extrem schwierig, mit der Kunst den Lebensunterhalt zu verdienen. Das Jahr 1945 war eine deutliche Zäsur, weil mit dem verlorenen Zweiten Weltkrieg und seinen Folgen auch in Marburg zahlreiche vertriebene und geflüchtete Künstlerinnen die Künstlerszene massiv vergrößerten.
Viele von ihnen hatten jedoch all ihre Werke und auch ihre Kontakte und Verbindungen durch Krieg und Flucht verloren. Thema ist auch die Gründung des Marburger Künstlerkreises in den 50er Jahren und seine Bedeutung für die Marburger Künstlerinnen.
Die früheste Künstlerinnenbiographie in dem Band ist die von Katharina Karolina Luja, verheiratete von Drach. Geboren wurde sie im Jahr 1800.
Ihre letzten 14 Lebensjahre bis 1874 verbrachte sie in Marburg. Zu ihrer Zeit war sie durchaus eine bekannte Künstlerin, die sogar in verschiedenen Lexika der damaligen Zeit erwähnt wird.
Über die 1864 in Marburg geborene Auguste Pfeffer gibt es einiges an Material. Allerdings betrifft es vor allem ihre Tätigkeit als Dichterin, obwohl sie eine ausgebildete Kunstmalerin war, die sogar Schülerinnen hatte.
Nur wenig herausfinden ließ sich dagegen über die 1856 geborene Elise Dauber. Man weiß lediglich, dass sie Mallehrerin und auch auf Ausstellungen vertreten war.
In dem Buch finden sich aber auch die Lebensläufe von Künstlerinnen, die in Marburg nach wie vor sehr bekannt und mit ihren Kunstwerken präsent sind. Beispielsweise sind Louisa Biland oder Hanna Korflür zu nennen.
Sie fanden schon ganz andere Bedingungen vor, um ihren Lebensentwurf zu verwirklichen. Korflür beispielsweise konnte ganz selbstverständlich an der Burg Giebichenstein in Halle studieren und arbeitete als Grafikerin.
pm: Stadt Marburg
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