27.01.2008 (jnl)
In Österreich ist alles anders, besonders die Sprache. Den Beweis dafür trat der Wiener Sprachartist Franzobel am Sonntag (27. Januar) im Café Vetter bei "Literatur um 11" an.
Der 40-Jährige stellte sein neues Buch "Liebesgeschichte" aus dem Jahr 2007 vor. Zuvor gab er eine Auswahl urkomischer Kurzprosa und Gedichte zum Besten. Der Sieger im renommierten Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb von 1995 gilt als einer der produktivsten und eigenwilligsten selbst unter den - an literarischen Talenten gewiss nicht armen - Österreichern.
Als Auftakt der Lesung gab es ein Gedicht auf Marburg, das Franzobel vorgeblich am gleichen Morgen hervorgebracht hatte. Darin kam spaßig zur Rede, was es vor Ort alles an Kuriosem und Furiosem zu bestaunen gebe. Gleich im Anschluss zerdepperte der Alpen-Anarchist die eben erschaffene Illusion. Nein, es war natürlich ein Passepartout-Poem, das er immer mal wieder auf neue Orte umwidme, bekannte er. In Wirklichkeit sei es eine Hymne auf den Tod.
Das Gedicht schaffte es zu amüsieren, indem es zuerst ein klein "bisserl" verstörte. Nach diesem Muster ging es auch weiter.
In leichtem oberösterreichischem Dialekt legte der Vortragende ganz hübsch Tempo vor. Er lästerte lustvoll über die Erotik der Skiflieger sowie am allerliebsten über seine Landsleute.
Woran erkennt ein Autor aus dem Alpenland, ob sich ein paar davon im Publikum eingeschlichen haben? Es reiche, sagte Franzobel, "Österreich ist schön!" zu sagen, dann müssten alle, die von dort sind, todsicher lachen.
Manchmal wurde die Matinee skurril philosophisch. Franzobel schaute auf eine wohlgenährte Hauskatze, und fragte "Ist diese Katze glücklich?" Nein, lautete ironisch die Antwort, denn die Ausgeburt des Glücks muss aus Sicht des Stubentigers die Zugehfrau sein. Nur sie kann ungehindert an die Nahrungsvorräte, wann immer sie Lust hat.
Doch für die Zugehfrau ist das Glück verkörpert in den Wonnen der Sicherheit, die nur die Hausfrau hat. Die wiederum beneidet den Ehemann, der so viel herumkommt und erlebt. Und der allerdings beneidet die Katze. Der Kreis der Neider schließt sich.
Aber ist das wirklich eine Geschichte von heute? Doch was schert es ein literarisches "enfant terrible", ob es nah an den Moden der Jetztzeit seine Pfeile verschießt?
Der Roman "Liebesgeschichte" ist ein Holterdipolter aus Affären und Erotomanien. Alexander liebt die Seitensprünge. Seine Gattin Marie springt mitsamt Kind aus dem Fenster. Aber das tut sie nur zum Schein, denn damit will sie ihn halten. Aber Alexander honoriert das zunächst nicht, und tröstet sich nacheinander mit Dunja und mit Heidrun. Die Geschichte ist eine wilde Jagd aus lauter verrückten Einfällen. Die himmelhoch jauchzenden Gefühle werden ebenso lustig-listig beschrieben wie das "Es ist alles aus" der Verlassenen. Am Ende ist es doch wieder ein Schnitzlerscher "Reigen" der Liebessehnsucht und des Trugs.
Franzobel zeigte eine skurrile Mischung aus Shakespearescher Liebeskomödie, Slapstick-Film und Comic. Diese Mischung bot einiges zum Lachen und zum Gruseln, etwas für Herz, Kopf und Bauch.
Vielleicht weil der Autor in Marburg noch unbekannt war oder der Wahlsonntag die Leute abhielt, war der Besucherandrang mit rund 30 Literaturfreunden bedauerlich spärlich. Das wird sich beim nächsten Auftritt sicherlich ändern.
Jürgen Neitzel
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