04.10.2015 (fjh)
"Es ist zwar verboten, aber alle tun es." Mit diesen Worten rechtfertigt Aristide Saccard seine betrügerischen Börsenspekulationen. Auf ähnliche Weise könnten auch Vertreter von Volkswagen (VW) ihre betrügerische Software begründen, die umweltschädliche Diesel auf dem Prüfstand zu sparsamen Autos macht.
Immer noch brandaktuell ist der 1891 erschienene Roman "Das Geld" von Émile Zola. Eine Bühnenfassung der Geschichte um Spekulation, Betrug und Macht feierte am Samstag (3. Oktober) unter der Regie von Arnim Beutel Premiere im Theater am Schwanhof.
All sein Geld hat Saccard bei Spekulationen an der Pariser Börse verloren. "Wir schreiben das Jahr 1864", heißt es im Programmheft des
Hessischen Landestheaters Marburg. "Paris ist die Hauptstadt der Welt, Spielplatz der Reichen und Mächtigen."
Der Ingenieur Georges Hamelin legt Saccard Pläne für eine Dampfschiffreederei, für die Ausbeutung einer Silbermine und von Kohlebergwerken sowie den Bau von Eisenbahnen im Nahen Osten vor. Zur Finanzierung dieser zukunftweisenden Vorhaben gründet Saccard die "Universalbank". In Wirklichkeit will er sich mit diesem Projekt aber persönlich bereichern.
Bei der Gründung der Bank manipuliert er die Ausgabe der Aktien mit Hilfe eines Strohmanns. Als sich Hamelins Vorhaben gut anlassen, erhöht Saccard das Aktienkapital mit wiederum betrügerischen Kursmanipulationen. Zudem kauft er eine marode Zeitung auf, mit deren Hilfe er die Berichterstattung über seine Geschäfte zusätzlich schönt.
Mit Georges Schwester Caroline Hamelin geht Saccard ein Verhältnis ein. Wider besseren Wissens investiert sie ihr Vermögen in Aktien der Universalbank.
Immer höher steigen die Kurse der betrügerischen Bank. Immer mehr berauscht sich Saccard an den Gewinnen. Mit dem Geld fliegen ihm die Frauen und die Macht nur so zu.
Skrupellos sucht Saccard seinen Vorteil bei den Frauen wie auch bei seinen Geschäften. Großsprecherisch träumt er davon, den ungekrönten jüdischen Börsenkönig Gundermann zu entthronen.
Den selbstgerechten und ruhmsüchtigen Saccard verkörperte Sebastian Muskalla absolut meisterhaft. Wie es seiner Rolle entsprach, spielte er die meisten Mitspieler an die Wand. Einmal ging er auch durch die Reihen des Theatersaals, um im Publikum für den Kauf seiner Aktien zu werben.
Die Rücksichtslosigkeit Saccards in seinen Beziehungen wie auch in seinen Geschäften brachte Muskalla genauso überzeugend auf die Bühne wie den größenwahnsinnigen Rausch, in den er sich immer mehr steigerte. Zwischendurch schlüpften er wie auch andere Schauspieler in die Rolle des Erzählers, der mit kurzen Beschreibungen zur nächsten Spielszene überleitete.
Videoeinspielungen und Musik lockerten das Geschehen auf. Hektische Bewegungen auf der Bühne entsprachen dem ebenso hektischen Handeln an der Börse.
Mitunter wurde das Sprechtempo aber ein wenig zu hastig und die unnötige Verwirrung durch Frauen in Männerrollen etwas zu groß. Insgesamt aber war die Inszenierung des auf 120 Minuten zusammengekürzten Romans absolut gelungen.
Langanhaltender Beifall belohnte alle Mitwirkenden zu Recht für ihre Leistungen. Die Börse als Glücksspiel von Betrügern und das Leben als ein ebensolches Ränkespiel von Gier, Betrug und Macht haben schließlich in den 124 Jahren seit der Erstveröffentlichung von Zolas Roman nichts an Brisanz verloren. Mit der Wahl dieses Stoffs und seiner gelungenen Umsetzung hat das Hessische Landestheater Fingerspitzengefühl und Treffsicherheit bewiesen.
Franz-Josef Hanke
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