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Kein Ausstellungsgegenstand


Karl-May-Museum in der Kritik um Indianer-Skalp

06.08.2015 (als)
"Es war bemerkenswert, zu sehen, dass die Indianer schon Schuhe hatten und die Kleidung warm hielt", schrieb einer der letzten Besucher ins Gästebuch des Karl-May-Museums in Radebeul bei Dresden. Zugegeben: Erinnert man sich an die berühmten Wildwest-Romane über Winnetou und Old Shatterhand, ist es ein Leichtes, über die Zivilisiertheit der indigenen Völker Nordamerikas zu staunen. Schließlich waren es europäische Siedler, die all das erst im 16. Jahrhundert mit über den großen Teich brachten – als besonderes Luxusgut sozusagen.
Leider wurden samt dessen auch andere - nicht so nützliche - Geschenke wie Pocken, Alkohol und das Christentum mitgebracht. Aber das kann ja mal passieren, und heute tut’s ja auch allen sehr Leid. Oder etwa doch nicht?
Die meisten Deutschen kennen die Geschichte nordamerikanischer Indianer durch den Schriftsteller Karl May. Die Geschichte der Indianer allerdings war ihm weitestgehend fremd, gar exotisch. Ihm zu Ehren gibt es nichtsdestotrotz ein Museum, errichtet in und um das Haus in Radebeul, in dem er zu Lebzeiten wohnte und schrieb. Aufgeteilt in die "Villa Shatterhand" und die "Villa Bärenfett", versucht das Museum das Leben und Werk Karl Mays mit Informationen zu indigenen Völkern und Kulturen Nordamerikas in Einklang zu bringen. Doch genau hier ist der Haken.
Wegen eines Skalps geriet das Museum im Frühjahr 2014 in die internationale Presse. Skalps waren Kriegstrophäen der Indianer, die aus Kopfhaar und -haut eines getöteten Menschen von verfeindeten Stämmen bestanden. Der in Berlin lebende US-amerikanische Journalist Mark Worth hatte das Museum eher zufällig besucht und war derartig über die profitgierige Ausstellung menschlicher Überreste schockiert, dass er sich seitdem für die Rückführung des Skalps an sein Volk einsetzt.
Seiner Veröffentlichung folgte eine große Welle der Empörung in Deutschland über die Vorwürfe wie Respektlosigkeit gegenüber indigenen Kulturen oder gar Rassismus. Ein Dokument, laut dem der Skalp dem Sault Ste. Marie Tribe of Chippewa Indians aus Michigan gehört, reiche nicht aus, um das Ausstellungsstück dem Volk zurückzugeben, lautete das Hauptargument der Museumsleitung. Nach langen Gesprächen mit angereisten Vertretern des Tribes einigte man sich zunächst darauf, das Original zumindest nicht weiterhin auszustellen, sondern durch eine Attrappe aus Pferdehaar zu ersetzen.
Soweit, so schlecht. Denn die Problematik wurde damit keineswegs verstanden. Warum ist es ethisch und moralisch verwerflich, menschliche Überreste zu Informationszwecken auszustellen? Schließlich werden Überreste - ja ganze Körperteile - verschiedenster Völker auch in anderen Museumseinrichtungen gezeigt.
Die Besonderheit liegt hier jedoch im historischen und kulturellen Hintergrund eines jeden indigenen Menschen, dessen Haarteil, Kopf oder Körper sich in dem Händen heutiger "Fachleute" befinden. Die grausame Vergangenheit der "Native People" angesichts der Kolonialisierung Nordamerikas sowie die Folgen des jahrhundertelangen Völkermords an ihnen werden nämlich im gesamten Konzept des Karl-May-Museums konsequent heruntergespielt. Die Nachwirkungen für die noch sehr lebendigen Menschen der Chippewa, Cree, Sioux, Blackfoot und hunderter anderer Völker sind durch etliche Formen von Rassismus und Missachtung ihrer Menschenrechte in der nordamerikanischen Gesellschaft des 21. Jahrhunderts sichtbar.
"Unsere Familien sind gestorben im Kampf um unsere Kultur, unser Land. Darum, wer wir sind", sagt Colleen Medicine, Rückführungsbeauftragte des Sault Tribes. Das Trauma werde von Generation zu Generation weitergegeben. Da sei Hoffnungslosigkeit, Identitätslosigkeit, Missbrauch, Abhängigkeit, Kriminalität.
Ihre Worte sind gleichbleibend unbetont. Wie viel Wahrheit in ihnen steckt, versteht wahrscheinlich nur jemand, der täglich mit dieser Wahrheit konfrontiert wird. Menschen, denen man versuchte, Selbstwert und das Recht auf Selbstbestimmung durch systematische Unterdrückung abzusprechen. In der eigenen Heimat.
Doch die Antwort der Gesellschaft lautet "Kommt endlich drüber hinweg!" Die letzte sogenannte "Residential School" in Kanada, in der die anglikanische und katholische Kirche indianische Kinder ihren Familien entriss und gewaltsam "zivilisierte", wurde erst 1996 geschlossen.
Der Mythos von Winnetou und Old Shatterhand lebt immer noch in der Vorstellung der heutigen Generationen weiter. Den "modernen" Indianer, der kein Tierfell und Federn, sondern wie ich und du Jeans trägt, in Häusern, nicht in Tipis lebt, aber eben auch verurteilt, beschimpft, ja umgebracht wird, weil er "a dirty Indian" - ein dreckiger Indianer - sei, kennt in Deutschland fast niemand.
"Wir müssen die Besucher ja mit etwas Positivem locken, woran sie Spaß haben," lautet Claudia Kaulfußs Erklärung zur veralteten, lückenhaften Darstellung der Geschichte der Indianer. Doch soll ein Museum unterhalten? Wo ist dann beispielsweise der Unterhaltungsfaktor in Holocaust-Museen?
"Im Endeffekt fürchtet das [privat geförderte] Karl-May-Museum um Besucherzahlen, die durch den Verlust eines Ausstellungsgegenstands weiterhin sinken könnten", bestätigt auch Courtney Cottrell, Mitglied der Brotherhood Indian Nation (Eeyamquittoqauconnuck) in Wisconsin und momentan Doktorandin in Berlin. Wenn es um Geld geht, wird an jedem Rädchen gedreht. Solange bleibt nicht nur das Bild eines indigenen Menschen, sondern auch der Respekt gegenüber allen fremden Kulturen immer in der Hand des Stärkeren.
Anna Schneider
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