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Auf Sportplätzen


Zelte für 500 Flüchtlinge in Cappel

08.07.2015 (fjh)
In einer sachlichen, offenen und konstruktiven Atmosphäre haben Regierungspräsident Dr. Lars Witteck und Oberbürgermeister Egon Vaupel am Dienstag (7. Juli) gut 300 Bürgerinnen und Bürger über einen Notfallplan informiert, nach dem auf dem Sportplatz an der Umgehungsstraße in Cappel über den Sommer vorübergehend Flüchtlinge zumindest ein Zeltdach über den Kopf bekommen. Das für die Erstaufnahme von Asylsuchenden zuständige Land Hessen hatte die Universitätsstadt Marburg am Donnerstag (2. Juli) dringend um kurzfristige Hilfe ersucht. Die Stadt will in Nachbarschaft der Einrichtung des Regierungspräsidums Gießen eine soziale Anlaufstelle schaffen.
Witteck und Vaupel beantworteten bei einer gut zweistündigen Informationsveranstaltung zusammen mit weiteren Vertretern der Stadt, der Polizei, Prof. Dr. Ulrich Wagner von der Philipps-Universität und Cappels Ortsvorsteher Heinz Wahlers im Bürgerhaus Fragen. Darüber hinaus griffen sie Anregungen aus dem Publikum auf, wie man den Menschen in der Übergangseinrichtung helfen könne.
Die Unterbringung in Marburg soll nach Angaben des Regierungspräsidenten als Puffer für die Hessischen Erstaufnahmeeinrichtung in Gießen in einer dramatischen Situation aushelfen, bis die geplanten Außenstellen in Neustadt, Büdingen und an weiteren Standorten fertiggestellt sind. "Das hier ist eine Übergangslösung, für die ich Ihre Hilfe brauche", richtete Witteck das Wort an die Marburger.
Sobald in den festen Liegenschaften der Hessischen Erstaufnahmeeinrichtungen Plätze frei werden, ziehen die Bewohner dorthin um. Eine Planung, in Marburg eine feste Erstaufnahme einzurichten, bestehe nicht, erklärte der Regierungspräsident auf Fragen aus dem Publikum.
Laut RP werden rund 500 Flüchtlinge befristet bis im Oktober in den Zelten an der Umgehungsstraße untergebracht. Voraussichtlich geschieht das ab der nächsten Woche.
Der Aufbau beginnt in dieser Woche. Auch die Infrastruktur wie Essensversorgung, medizinische Versorgung, Sanitäreinrichtungen, Reinigungsdienst, Kinderbetreuung und sozialpädagogische Betreuung werden dort alle vom Regierungspräsidium zur Verfügung gestellt, das für die Erstaufnahme von Flüchtlingen in ganz Hessen und somit auch für die Übergangslösung in Marburg organisatorisch und finanziell zuständig ist. Das gilt auch für einen Sicherheitsdienst, der sich um die vorübergehende Außenstelle in Marburg kümmern wird und in enger Abstimmung mit der Polizeidirektion Marburg arbeitet.
"Demokratie leben – das bedeutet, auch für Fragen humanitärer Hilfe Antworten zu finden", hatte Vaupel zum Auftakt im Bürgerhaus Cappel deutlich gemacht. Er appellierte an die Marburger, ihr hervorragendes Engagement für Flüchtlinge fortzusetzen, auch wenn sich die Erstaufnahme von der bisherigen Begleitung zugewiesener Flüchtlinge unterscheide.
"Ohne Sie werden wir diese große Aufgabenstellung nicht bewältigen", erklärte der Oberbürgermeister. "Ich bin sehr dankbar dafür, was und wie sich die Bürgerinnen und Bürger in Marburg einbringen. Ich bin sicher, unter dem Strich werden wir davon alle partizipieren."
Es gelte, Ängste und Berührungsschwierigkeiten beider Seiten abzubauen und Missverständnisse auszuräumen, sagte der Oberbürgermeister unter Applaus. "Die Menschen hier müssen auf jeden Fall merken: Sie haben die Flucht jetzt hinter sich; es läuft alles in geordneten Bahnen."
In Marburg wird als soziale Struktur zusätzlich eine Anlaufstelle für Bürger und Flüchtlinge gleich in der Nähe der Übergangseinrichtung aufgebaut, kündigte Vaupel an. Dort ist auch Platz für ehrenamtliches Engagement. Auch mit der Verwaltungsaußenstelle Cappel kann jeder Interessierte schnell und unkompliziert Kontakt aufnehmen, wie der Ortsvorsteher betonte.
"Reden Sie mit den Menschen, fragen Sie, wo sie herkommen, trinken Sie mit den Flüchtlingen Tee, zeigen Sie Ihnen die schöne Stadt Marburg", begrüßte Witteck solche Initiativen. "Es sind oft die persönlichen - die ganz einfachen - Dinge, die helfen."
Allerdings werden die meisten der Menschen in der Marburger Zeltunterkunft wohl nur ein bis vier Tage bleiben. In der Zeit der Erstaufnahme - dem ersten Anlaufpunkt von Asylsuchenden - erfolgt nach Gesetzesvorgabe ein gesundheitlicher Check. Die Menschen stellen von hier aus nach Artikel 16 des Grundgesetzes ihren Asylantrag beim Bund.
Sobald in einem festen Gebäude einer landesweiten Erstaufnahmeeinrichtung ein Platz frei wird, ziehen die Flüchtlinge dorthin um. Nach vier bis sechs Wochen erfolgt dann von dort aus die Verteilung auf die verschiedenen Kommunen des Landes mit Anerkennung des Asylrechts oder verschiedenen Aufenthaltstiteln bis zur Duldung.
Ralph-Dieter Brede von der Polizeidirektion Marburg machte am Dienstagabend zugleich deutlich, dass sich die Polizeistation Marburg bisher erfolgreich um über 70.000 Bürger kümmere. "Ich denke, das reicht für weitere 500", betonte er.
Auch in der Gießener Einrichtung, die aber viel größer und somit mit Marburg nicht vergleichbar sei, gebe es keinen Sachverhalt, der durch Eingreifen nicht gelöst werden konnte. "Da tobt kein Kampf; das ist befriedet."
Man erwarte Flüchtlinge, keine Gruppe von Straftätern, sagte Brede. Für die ganz kleine Zahl von Fällen, die übrig bleibe, meinte er: "Das schaffen wir."
"Es kommen alle Sorten von Menschen vom Architekten bis zum Analphabeten, genauso wie es auch in Marburg ganz unterschiedliche Menschen gibt", stellte auch Witteck klar. Aber selbstverständlich könne es wie in jeder Gruppe von Deutschen, die so eng beieinander leben müsse, auch zu Konflikten und Schwierigkeiten kommen.
Dafür gebe es den Sicherheitsdienst, die Polizei und Sozialarbeiter. Oft helfe aber auch eine frühe Ansprache und Information, zum Beispiel wenn Flüchtlinge "mit unserem ausdifferenzierten System der Mülltrennung nicht gleich zurechtkommen".
"500 Menschen stellen hier wirklich nicht alles auf den Kopf; aber natürlich schauen wir hin", sagte der Leiter der Polizeidirektion, "und beziehen das in unsere Streifenplanung ein". Konflikte zwischen Gruppen, die sie schon aus den Heimatländern mitbringen, versuche man aber schon im Vorfeld, durch die Unterbringung zu verhindern, ergänzte Witteck.
"Seien Sie sicher: Ich mag keine Zelte zur Unterbringung, aber wir haben die juristische und moralische Pflicht, diese Flüchtlinge anständig und menschenwürdig unterzubringen", fuhr Witteck fort. Man dürfe sie nicht - wie in anderen europäischen Ländern - auf der Straße stehen lassen.
Während vor drei Jahren 65.000 asylsuchende Menschen nach Deutschland kamen, wird nach seinen Angaben für 2015 mit 500.000 Menschen gerechnet. Hessen hat dieses Jahr 24.000 Menschen aufgenommen. Der RP rechnet mit 40.000 Flüchtlingen zum Jahresende.
Er kenne keinen Kriegsherd, in dem sich derzeit eine Lösung abzeichne, sagte der Regierungspräsident. "Wenn diese Menschen hierher kommen, sind sie einfach nur fertig", erklärte er zugleich. Die Entscheidung, die Heimat, das soziale Umfeld und den Beruf zurückzulassen und sich "auf irgendwelche Rattenkutter" zu begeben, sei eine Entscheidung, "die die meisten von uns glücklicherweise nie treffen mussten", schilderte der Regierungspräsident eindringlich die Situation vieler Flüchtlinge.
"Wir würden den Menschen hier nach ihrer Ankunft gerne die Möglichkeit bieten, die Tür hinter sich zu schließen, um das Erlebte zu verarbeiten, können es aber derzeit nicht", ergänzte er. Umso dringlicher sei er dabei, weitere feste Gebäude für die Erstaufnahme zu akquirieren, jedoch nicht in Marburg. Um den asylsuchenden Menschen in den Zelten bis dahin zumindest ein wenig Schutz zu bieten, werden die Zelte in Cappel umzäunt, informierte Witteck auf Nachfrage. "Aber natürlich können die Flüchtlinge die Unterkunft verlassen und sich frei bewegen", fügte er hinzu.
Die Hessische Erstaufnahmeeinrichtung in Gießen ist mit über 7000 Menschen nicht mehr in der Lage, weitere Flüchtlinge unterzubringen. Weil alleine an ersten Juli-Wochenende 600 Menschen nach Flucht und Vertreibung in Hessen angekommen sind – so viele wie früherin drei Monaten - hatte sich Witteck an die Universitätsstadt Marburg gewandt. In Wetzlar stehen bereits Zelte.
Nach der Prüfung von verschiedenen Standorten - auch über das ganze Wochenende - wurde der Platz in Cappel am Montag mit den Fachleuten als einziger geeigneter angesehen und direkt für den Folgetag zum Infoabend eingeladen. Auch der Messeplatz sei in Betracht gezogen worden, berichtte Vaupel.Er kam jedoch nicht in Frage, weil für das Gelände Mietverträge bestehen, es für Laster, die auf die Abfertigung beim Zollamt warten, keine Alternative gibt und das Gelände zudem als Park & Ride-Platz benötigt wird.
Vaupel, Witteck und Wahlers baten die Bürgerinnen und Bürger, sich frühzeitig zu melden und boten eine erneute Veranstaltung an."Sobald Sie Probleme und Fragen haben, machen Sie sich bitte bemerkbar", forderte Ortsvorsteher Wahlers die Bürger auf. "Wenn Probleme noch klein sind, kann man fast jeden Konflikt im Vorfeld abfedern."
pm: Stadt Marburg
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