16.06.2015 (fjh)
Was bedeutet es, mit einer Behinderung zu leben? Welche Beratungsangebote gibt es für Menschen, die mit einer Behinderung leben? Diese beiden Fragen standen am Freitag (12. Juni) im Mittelpunkt einer Inklusionsveranstaltung im Beratungszentrum mit integriertem Pflegestützpunkt (BiP).
Das Motto lautete "Barrierefreiheit ist uns eine Herzensangelegenheit – Inklusion erlebbar machen". Über Inklusion werde viel geredet, sagte Oberbürgermeister Egon Vaupel, der die Veranstaltung vor rund 50 Gästen eröffnete.
Für ihn bedeute Inklusion Zugehörigkeit. "Wir müssen unsere Umwelt - unsere alltäglichen Lebensbedingungen - so gestalten, dass alle dazugehören können", betonte Vaupel.
Früher habe er gedacht, wenn man etwas für die Barrierefreiheit tue, dann tue man das für die Menschen mit Handicaps. Aber wenn er eins in seiner Zeit als Rathaus-Chef gelernt habe, dann das: "Wenn wir etwas für die Barrierefreiheit tun, dann tun wir das für uns alle."
Auch wenn Marburg mit Blick auf das Thema in vielerlei Hinsicht schon außergewöhnlich sei - mit vielen Dingen, die bereits umgesetzt sind, und weiteren, die auf der Agenda stehen - müsse sich in den Köpfen der Menschen noch Vieles tun. Das BiP vor Ort zu haben, darauf könne man stolz sein.
Eine Talkrunde mit Vertretern verschiedener Institutionen und Selbsthilfegruppen, die regelmäßige Beratungen im BiP anbieten, stellte die Bandbreite des Angebots vor. Zunächst gab jedoch der Vorsitzende der Freiwilligenagentur Peter Günther einen ganz persönlichen Einblick in ein Leben mit einer Behinderung. Der 60-Jährige erkrankte in seiner Kindheit an Kinderlähmung und war seitdem mit vielerlei Barrieren konfrontiert.
Nachdem er zwei Jahre im Krankenhaus verbracht hatte und er und seine Familie entschieden hatten, dass er wieder in sein Elternhaus zurückkehren sollte, bewegte er sich dort auf allen Vieren fort. 16 Stufen ins Obergeschoss – "das hält natürlich fit", sagte Günther.
An Spielkameraden habe es ihm in seiner norddeutschen Heimat nie gemangelt. Dass er nicht würde mithalten können, sei nie Thema gewesen. Im Zweifel wurde er im Bollerwagen mit zum Spielen genommen, erinnerte er sich.
In der Schule haben ihn die Mitschüler in die Klassenzimmer getragen. Im Gymnasium gab es eine Lehrerin, die nie darüber diskutiert habe, ob er dazugehöre oder nicht.
Nach dem Abitur bewilligte ihm das Landessozialamt ein Auto; und Günther konnte studieren. Er kam nach Marburg und wohnte im Studentendorf. "Das war nutzbar; barrierefrei wäre geprahlt". Auch wenn sein eigenes Motto sei, dass man nicht jammern, sondern nach Lösungen suchen sollte, bleibe die Barrierefreiheit eine generelle Forderung.
Verschiedene Träger und Selbsthilfegruppen hatten dann im Rahmen der Talkrunde die Gelegenheit, sich und ihre Arbeit vorzustellen. Anita Berg vom Verein "Leben mit Krebs Marburg", Naxina Wienstroer vom Verein zur Förderung der Inklusion behinderter Menschen (fib), Renata Kohn von der regionalen Anlaufstelle der Organisation "Blickpunkt Auge", Karl-Hans Schumacher von der Epilepsie-Selbsthilfegruppe und Angela Schönemann von der Alzheimer-Gesellschaft, die mit Mathilde Siebenwasser auftrat, erläuterten ihre persönliche Motivation, sich zu engagieren und was ihre jeweiligen Vereine beziehungsweise Institutionen in Marburg bieten.
Im Anschluss stellte Jörg Fretter seine Projektidee im Hinblick auf eine inklusive Gesellschaft vor. "Inklusion durch Rad-Rad-Radfahren" - die Anschaffung eines Dreirads mit Elektroantrieb zur Ausleihe - war im Jahr 2014 eine von vier Initiativen, die mit dem Jürgen-Markus-Preis der
Universitätsstadt Marburg ausgezeichnet wurden.
pm: Stadt Marburg
Text 10599 groß anzeigenwww.marburgnews.de