05.06.2015 (jhn)
Tolle Schauspieler und eine interessante Bühnenästhetik gab es am Donnerstag (4. Juni) im Theater im g-werk. Mit "The Last Visitor – Der letzte Besucher" zeigte das Theater die vierte Zusammenarbeit von den Theater- und Performance-Produzenten
german stage service und unitedOFFproductions.
Bei der Vorstellung begibt sich der Zuschauer in das Wohnzimmer der Literaturwissenschaftlerin Konstanze. Bühne und Zuschauerraum verschmelzen dabei, sodass es auf der Bühne zu keinen weiteren Ortswechseln kommt. Eine Live-Kamera ermöglicht es aber, das Geschehen außerhalb der Bühne auf einer Leinwand zu begleiten. Die ganze restliche Wohnung Konstanzes befindet sich nämlich hinter den Kulissen und kann durch zwei Türen von den Akteuren betreten werden.
Jeder Schritt der vier auftretenden Figuren wird verfolgt. Schon der erste Auftritt einer jeden Figur ist ungewöhnlich, da eine Tür vom Parkplatz vor dem Gebäude direkt auf die Bühne ihre Ankunft von draußen möglich macht. So entsteht eine eindrucksvolle Live-Situation mit unheimlicher Intimität.
Was der Zuschauer sehen soll, muss hier nicht mehr direkt vor seinen Augen passieren. Es aber auf der Leinwand zu sehen, verstärkt den Eindruck vom Einbruch in die Privatsphäre der Charaktere. Ein Telefongespräch auf der Toilette, der einsame Monolog beim Rauchen vor der Tür oder der plötzliche Lustausbruch von Konstanze und ihrem Freund im Wohnungsflur: Der Zuschauer sieht und hört alles.
Bisweilen kommt es zu gleichzeitigen Aktivitäten auf der Bühne und der Leinwand, was ein besonderes Kino-Feeling mit Splitscreen erzeugt. Dadurch behält sich das Stück die Möglichkeit bei, weder Ort noch Zeit der Erzählung verzerren zu müssen und trotzdem verschiedene Handlungen zeigen zu können.
Auch deswegen schafft es der Live-Einblick in Konstanzes Familie, in etwa eineinhalb Stunden die Geschichten von sechs Menschen zu erzählen. Aber er versucht, sich dabei mit zu vielen verschiedenen Themen auseinanderzusetzen.
Angesprochen werden Adoption, Homosexualität, Spielsucht oder Emigration. Über allem steht das Thema Familie, wodurch nur Aspekte wie Trennung mit Kind oder das Verhältnis von Ex-Mann und neuem Freund wirklich greifbar gemacht werden können.
Dass sich die zahlreichen Ereignisse am Ende überschlagen, gibt dem Stück eine zunächst scheinbar erfrischende Wendung. Zurück bleiben jedoch Unstimmigkeiten, die vor allem die Figuren betreffen. Die sehr gut gezeichneten Rollen erleben plötzlich Brüche, die sich in so kurzer Zeit nicht begründen lassen. Besonders schade ist das, da das Stück ohne richtige Handlung auskommt und eben nur durch die speziellen - wenn auch etwas klischeehaften - Figuren lebendig ist. Zu verdanken ist das natürlich vor allem den großartigen Schauspielern.
Die tiefen Charaktere und die besondere Theaterform erzeugen ein spannendes Bühnenerlebnis, bei dem man nicht nur zusieht, sondern mitfühlt und miterlebt. Die Schwächen des Stücks werden durch die besondere Liveness und die fast peinliche Intimität wieder wettgemacht. So gelingt es dem Stück dennoch, den Zuschauer in seinen Bann zu ziehen.
Jonas Neureither
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