10.05.2015 (jhn)
Mit "Angst essen Seele auf" zeigte das Hessische Landestheater am Samstag (9. Mai) im Theater Am Schwanhof seine vorletzte Premiere der Spielzeit 2014/15. Die Bühnenadaption des Films von Rainer Werner Fassbinder beschäftigt sich mit Religionskonflikten und Fremdenhass.
Regisseurin Fanny Brunner und Dramaturgin Eva Bormann bringen die von Fassbinder so nüchtern und schmucklos vorgetragene Thematik in überraschend lebhafter und packender Weise auf die Bühne. Mit hervorragender Besetzung erzählen sie die Liebesgeschichte des marokkanischen Gastarbeiters Ali und der in die Jahre gekommenen deutschen Putzfrau Emmi.
Geächtet von der Gesellschaft, stehen die beiden zueinander. Nicht einmal der Spott der eigenen Kinder kann Emmi dazu bewegen, sich von Ali zu trennen.
Schließlich heiratet sie ihn sogar. Erst als sich ihre Mitmenschen mit der Situation abfinden, droht die Beziehung der beiden zu zerbrechen.
Die schwere Kost, die der Originalstoff vorgibt, wird auf der Bühne unter vollem Körpereinsatz aller sieben Schauspieler gelebt. Christine Reinhardt spielt die Emmi in einer Weise, wie sie der Filmschauspielerin Brigitte Mira in nichts nachsteht. Auch die übrigen Schauspieler liefern vor dem einfachen - aber eindrucksvollen - schwarz-weißen Bühnenbild eine glaubhafte Darstellung des heiklen Themas ab, ohne dabei unnötig zu beschönigen oder zu schonen.
Durch einen Kommentar eingerahmt, formt das Werk einen engeren Bezug zum aktuellen Geschehen innerhalb der Gesellschaft des 21. Jahrhunderts. Der Islam ist Teil Deutschlands geworden. Das Stück ruft deutlich zu seiner Akzeptanz, ja sogar Notwendigkeit auf.
Was fremd und nicht zu unserer Kultur passend erscheinen mag, soll nicht vorverurteilt, sondern genauer betrachtet und angenommen werden. Diese Forderung drückt sich nicht nur in den zahlreichen Monologen aus. Sie schlägt sich auch in der subtilen optischen Verwandlung nieder, die die Figuren während des Stücks durchmachen.
Läuft das Ensemble zu Beginn noch in typischer Alltags- und Straßenkleidung auf, so trägt einer nach dem anderen von Szene zu Szene mehr der muslimischen Kleider. Zum Schluss sind die weiblichen Darsteller in schwarze Gewänder gehüllt, die lediglich die Gesichter offenlegen, und die männlichen tragen weite Hosen und Hemden, sowie Gebetsmützen.
Eine Parallele zur zunehmenden Tolerierung der ungewöhnlichen Beziehung von Emmi und Ali oder die Theorie, dass jeder sich mit dem Islam identifizieren kann, wenn er sich darauf einlässt?
Was Fassbinder 1973 in den Fokus rückte, ist heute mehr Thema denn je. Zunehmende rechte Tendenzen rund um das Stichwort Pegida machen diesen Stoff brandaktuell. Umso passender ist es also, Fassbinders Erbe wieder aufzunehmen und dem heutigen Publikum zu präsentieren.
Jonas Neureither
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