01.05.2015 (fjh)
"Solidarität ist der Kitt der Gesellschaft, nicht die Börse." Mit diesen Worten wandte sich der thüringische Ministerpräsident Bodo Ramelow am Freitag (1. Mai) auf dem Elisabeth-Blochmann-Platz an die zur Maikundgebung versammelten Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) hatte den ehemaligen Marburger Gewerkschaftssekretär eingeladen, weil er 25 Jahre vorher von hier aufgebrochen war, um den DGB in Thüringen aufzubauen.
Knapp 1.000 Menschen lauschten den Reden bei der Abschlusskundgebung. Zuvor waren die meisten vom DGB-Büro an der Bahnhofstraße durch die Oberstadt und über den Marktplatz bis zum Elisabeth-Blockmann-Platz gezogen, wo neben Reden auch ein buntes Kultur- und Musikprogramm stattfand.
Bei einer Zwischenkundgebung auf dem Marktplatz sprach der Erste Kreisbeigeordnete Marian Zachow als Vertreter der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA). Er forderte gute Bezahlung für gute Arbeit und warnte vor Zugeständnissen beim Mindestlohn. Auch Erzieherinnen hätten mehr verdient als das derzeitige Gehalt, erklärte er.
Der Forderung einer Erzieherin nach besserer Bezahlung schloss sich auf dem Elisabeth-Blochmann-Platz auch Oberbürgermeister Egon Vaupel an. Er kritisierte die Finanzpolitik, die Kommunen immer mehr Aufgaben zuweise, ohne für eine entsprechende Finanzausstattung zu sorgen. Dabei sei die
Universitätsstadt Marburg bereit, mehr Flüchtlige aufzunehmen.
In diese Kerbe schlug anschließend auch Ramelow. Der Linken-Politiker rechnete vor, dass Deutschland den Zustrom junger Menschen und ihrer Fertigkeiten benötige, wenn es nicht vergreisen wolle.
Scharf kritisierte er die vorherrschende neoliberale Wirtschaftspolitik: Hedgefonds kauften in Afrika und mittlerweile auch schon in Thüringen Land auf, um damit zu spekulieren, anstatt es einer landwirtschaftlichen Nutzung zuzuführen. Alles werde nur noch in Geld bewertet und dementsprechend behandelt.
Der Abbruch der Flüchtlingsrettung im Mittelmeer sei mit zu hohen Kosten begründet worden, während die Rettung allein der "Hypo Real Estate" insgesamt "185 Jahre Mare Nostrum" verschlungen habe. Banken seien also offenbar wichtiger als Menschen. Das Transnationale Freihandelsabkommen TTIP nannte Ramelow als einen Auswuchs dieser Politik, die die Macht des Geldes höher einstufe als die Demokratie.
Angesichts der Zerstörungen durch Krieg und Hunger sei es kein Wunder, dass immer mehr Menschen nach Europa strömen. Statt einer Rüstungs- und Kriegspolitik forderte Ramelow einen Abbau von Rüstung und Waffengeschäften. Deutschland solle in Kriegen und Konflikten vermitteln, statt Waffen zu liefern.
Die Wirtschaftsstrukturen möchte er von unten aus neu aufbauen. Regionale Energiegenossenschaften nannte er als Beispiel für ein Gegenmodell gegen Hedgefonds und Großkonzerne: "Wir dürfen den Hedgefonds die regionale Infrastruktur nicht überlassen", forderte er.
Ramelows mitreißende Rede erntete langanhaltenden Applaus. Viele der Anwesenden kannten ihn schließlich auch noch aus seiner Zeit als HBV-Sekretär in Marburg.
Zum Ende der Veranstaltung musste der DGB-Gewerkschaftssekretär Dr. Ulf Immelt eine traurige Mitteilung machen: Neonazis hatten eine DGB-Kundgebung in Weimar überfallen und mehrerer Gewerkschafter verletzt. Eine spontane Solidaritätsbekundung mit den Thüringer Gewerkschaftern war die unverzügliche Folge dieser Nachricht.
ranz-Josef Hanke
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