01.02.2015 (fjh)
"In dem Raum stand nur ein Bett, das an der Wand festgeschraubt war", berichtete Thomas Lindlmair. "Drauf lagen Riemen zum Festschnallen. Auf ihnen habe ich gelegen; aber ich konnte nicht einschlafen aus Angst, sonst am nächsten Morgen festgeschnallt zu erwachen."
Die erschreckenden Zustände in der Forensischen Psychiatrie Wasserburg beschrieb Lindlmair am Samstag (31. Januar) beim Treffen des Arbeitskreises "Psychiatrie" der
Humanistischen Union (HU) im Käte-Dinnebier-Saal des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB). Knapp 20 Interessierte waren zur Sitzung des bundesweiten Arbeitskreises nach Marburg gekommen, um sich über die Zwangsbehandlung psychisch kranker Menschen und über das Therapiekonzept "Ex-In" zu informieren.
"Ex-In" steht für "Experienced Involvmement". Ulrike Simon berichtete von ihrer eigenen Ausbildung und dem dahinterstehenden Konzept zur Einbeziehung von Psychiatrieerfahrenen in die Therapie.
Zunächst müssen die ehemaligen Psychiatrie-Insassen ihre damalige Situation reflektieren und überlegen, was ihnen seinerzeit geholfen und was schlecht für sie gewirkt habe. Danach tauschen sie diese Erfahrungen mit anderen Psychiatrieeerfahrenen aus.
Vorteil dieses Ansatzes ist laut Simon ein besseres Verständnis für die Empfindungen und Bedürfnisse der Patienten. Vielfach habe Ex-In probleme lösen können, die sonst nur durch Zwangsmaßnahmen bewältigt worden wären.
Nachteil ist einerseits eine Art Gütestempel für die Einrichtungen, in denen Ex-In-Leute arbeiten, ohne dass das immer gerechtfertigt sein müsse. Zudem werde dieses Personal mitunter einfach kostengünstiger auf regulären Stellen eingesetzt. Schließlich sei Ex-In auch nur ein Baustein in einem Prozess zur Verbesserung der Qualität psychiatrischer Einrichtungen, der auf Selbsthilfegruppen und mehr Selbstbestimmung der Patienten keinesfalls verzichten könne.
Diese Selbstbestimmung geht bei Einweisung in Forensische Anstalten vollständig verloren. Lindlmair berichtete von Schikanen, die Kritik an den Einrichtungen und ihren Maßnahmen regelmäßig nach sich ziehe.
Unter Drohungen würden Patienten gezwungen, fragwürdige Medikamente trotz offensichtlicher Nebenwirkungen "freiwillig" zu schlucken. Kontakte zur Außenwelt würden willkürlich eingeschränkt. Anordnungen des Klinikleiters seien oft so willkürlich gewesen, dass selbst das Pflegepersonal sie nicht habe nachvollziehen können.
Lindlmairs Rechtsanwalt Ulrich Fuchs berichtete von Versuchen der Wasserburger Klinikleitung, seinen Kontakt mit dem Mandanten einzuschränken. Zudem sei Lindlmair für seine Kontakte zu Medien als angeblicher "Querulant" eingestuft und abgestraft worden.
Die Mainzer Psychologin Eva Schwenk nahm die Gutachten auseinander, die die Einweisung Lindlmairs begründen sollten. Sie hätten alle Regeln der gutachterlichen und beruflichen Kunst ignoriert.
Fehlerhafte Gutachten seien aber kein Einzelfall: Ein Psyhiater aus Hessen verstoße in seinen Gutachten regelmäßig gegen die Anforderungen, die er selbst in einem Leitfaden für psychiatrische Gutachten aufgestellt habe. Rechtsanwalt Tronje Döhmer kritisierte zudem, dass viele Gutachter gleichzeitig Leiter der Kliniken sind, in die die Begutachteten eingewiesen werden sollen, womit sie ein offenkundiges Interesse an deren Einweisung haben müssten.
Am Ende stellten Anwesende die Frage, ob die von Lindlmair beschriebene Praxis der Forensik nicht den Tatbestand der Folter erfüllt. Lindlmair bejahte diese Frage ebenso klar wie mehrere andere Teilnehmer des Arbeitskreises.
Um die Situation der Gefangenen in Forensischen Einrichtungen zu verbessern, hat Lindlmair mit anderen Leidensgenossen den
Deutschen Forensik-Bund gegründet. Sein Ziel ist die Vernetzung mit anderen Initiativen und Personen sowie die Öffentlichkeitsarbeit. Wichtig sei das Engagement gegen Vorurteile und die Stigmatisierung der Betroffenen.
Für einen ehemaligen Insassen einer forensischen Einrichtung sei es nahezu möglich, hinterher eine Wohnung zu finden. Gegenüber Patienten solcher Einrichtungen bestünden erhebliche Vorurteile und regelrechte Angst. Während der Zeit in der Anstalt werde man auf die nachherige Situation auch kaum vorbereitet, beklagte er.
"Wenn Du da drinnen bist, erfährst Du nichts von denen draußen", erklärte er. "Eine riesige Hilfe ist schon, wenn jemand Dich mal anruft oder sogar besucht und Dir klar macht, dass sich jemand um Dich kümmert."
Franz-Josef Hanke
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